Suchdienst: DDR - staatliche Kindesentziehung 

Navigation
 

Messe 2007

 

18 Prozent wollten wieder "im Sozialismus" leben !

                            weiter.....>

"DWSZ" Wer sind wir

Handy-Smog-Steuer

Naturschutzprogramm

 

 

Gesponsert von:

www.schmerzforschung.com
www.burnoutforschung.com
www.klimaforschung.net
www.kriegskinder.net
www.pool-airbag.com
www.pool-alarm.com
www.lehrvideos.com
www.mystisches.net
 

 

Literatur:

Kriegskinder
Kindererziehung

 

Link zu "DDR Chronik"
Link zu: "Fall der Mauer"
poolalarm

Wissen Forschung

Burnoutforschung

Hilfe bei der Bundestagswahl News - Wissen
twitter "cayberlin" = "Klaus-Peter Kolbatz" DDR - Erziehung der Jugend Leseproben Bücher von Kolbatz Weltfinanzsystem Klimaforschung

LINK zu:

DDR Chronik

DDR Chronik

 

Link zu:

Hilfe bei der Bundestagswahl 2009

Wissen, Politik, Technik, Gesundheit

 

Link zu: "Fall der Mauer"

 

Leseprobe "Burn-out"

Leseprobe "Burnout"

 

Klimaforschung

 

IMPRESSUM:

K.-P. Kolbatz

Titiseestr. 27

D-13469 Berlin

 

© Klaus-Peter Kolbatz

 

DWSZ-Programm 

60 Jahre BRD - das Jubiläum der Bundesrepublik Deutschland

Willkommen auf unserer Homepage,

Chronik der BRD - 60 Jahre Bundesrepublik Deutschland

Wir haben seit 1989 die Trennung von Moral und Wirtschaft.

DF Programm
DDR - Erziehung der Jugend Leseproben facebook Klaus-Peter Kolbatz twitter "cayberlin" = "Klaus-Peter Kolbatz" Bücher von Kolbatz Weltfinanzsystem Klimaforschung
poolalarm

Wissen Forschung

Burnoutforschung

Hilfe bei der Bundestagswahl News - Wissen

Chronik "Mauerfall" (Flash) .....>

LINK ZU: Bundestagswahl

Deutschland 8. Mai 1945, Kriegsende. Die viel beschworene "Stunde Null" gab es nicht, aber für die meisten Menschen in Deutschland begann alles bei "Null". Familien waren auseinander gerissen worden, Hab und Gut vernichtet und verloren.

Und auch die Politik lag in Trümmern. Es herrschten die Besatzungsmächte, die zunächst nur zögernd und punktuell Kompetenzen an deutsche Instanzen übertrugen. Schnell war die Friedenseuphorie dem Kalten Krieg gewichen und die bisherigen Waffenbrüder standen sich erst misstrauisch, dann ablehnend und schließlich feindlich gegenüber.

West-Alliierte und Sowjets suchten Verbündete in ihren Machtbereichen. Die wenigen Politiker, die das Nazi-Regime nicht nur unbeschadet, sondern auch anständig überstanden hatten, meldeten sich wieder zu Wort. Hinzu kamen viele, die emigriert waren. Doch auch Mitläufer und sogar Mittäter kamen wieder nach oben.

1946 vereinigten sich die KPD und SPD zur SED, auf der Grundlage eines Ost-Deutschen kommunistischen Staates. Im gleichen Jahr haben drei Ost-Deutsche Grenzbrigaden Westberlin eingekesselt und kamen 1948 mit den Sowjets bei der Berlin-Blockade zum Einsatz. 

Weitere 7 Grenzbrigaden lagen an der Zonengrenze und standen in Wismar, Perleberg, Halbe, Magdeburg, Erfurt, Meiningen und Rudolphstadt. 

Damit war bereits 1946 die Teilung Deutschlands nicht mehr aufzuhalten.

In den Westzonen verabschiedete der von den Westmächten eingesetzte Parlamentarische Rat vor 60 Jahren, am 8. Mai 1949, das Grundgesetz, mit dessen Verkündung am 23. Mai die Bundesrepublik Deutschland gegründet wurde. Am 7. Oktober 1949 erfolgte die Gründung der Deutschen Demokratischen Republik - die Teilung Deutschlands sollte 40 Jahre dauern.

Regierungserklärung von Konrad Adenauer am 20. September 1949 - "Das Werden des neuen Deutschlands hat sich nach den langen Verhandlungen im Parlamentarischen Rat und den Wahlen zum Bundestag am 14. August mit großer Schnelligkeit vollzogen. Am 7. September haben sich der Bundestag und der Bundesrat konstituiert; am 12. September hat der Bundestag den Bundespräsidenten gewählt, am 15. September den Bundeskanzler. Der Bundespräsident hat mich daraufhin am gleichen Tage zum Bundeskanzler ernannt. Heute, am 20. September, hat er auf meinen Vorschlag die Bundesminister ernannt". 

Weiter zur vollständigen Regierungserklärung von 20.September 1949....>>>

 

Mit Gründung der Bundesrepublik hat sich Westdeutschland und Westberlin für die freie Marktwirtschaft entschieden, während die DDR die Planwirtschaft nach sowjetischem Vorbild wählte.

Für den Wiederaufbau des zerstörten Europas stellten die Amerikaner ERP-Mittel bereit. Diese lehnte jedoch die Ostdeutsche Regierung ab. 

In den folgenden Jahren hat sich Westdeutschland und Westberlin bis zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung den Rang der drittgrößten Wirtschaftsnation erarbeitet. Die West-Deutsche Bundesbank verfügte über eine Goldreserve von etwa 3 400 Tonnen, die derzeit etwa 100 Milliarden DM Wert waren, so dass Bundeskanzler Helmut Kohl für die entstehenden Kosten der Wiedervereinigung keine Probleme sah.

BILD: Video "BRD Wirtschaftswunder"

 Diesen hervorragenden Stand hatte die Bundesrepublik nicht nur spitzen Techniken Marke "Made in Germany" zu verdanken, sondern auch Bankmanagern die eigenständig im freien Wettbewerb eine freie soziale Marktwirtschaft (und keinen Kapitalismus nach DDR-Verständnis) pflegten und ohne staatliche Eingriffen handeln konnten. Die D-Mark galt als Symbol für das westdeutsche Wirtschaftswunder und den Wohlstand.

"Was wir in Westdeutschland hatten, war das Ideal des Sozialismus, wie es von den Kommunisten stets als Endziel marxistischer Entwicklung der Gesellschaft prophezeit wurde".

"Hier ging es jedem gut. Die Arbeit wurde anständig bezahlt. Bei Krankheit waren alle versorgt. Von der Rente konnten die Bürger leben. Wir hatten alle Wohnungen oder sogar ein Haus.

"Es gab alles zu kaufen. Die Werktätigen konnten sich ein Auto leisten und in den Urlaub fahren wohin sie wollten. Wir konnten frei wählen, öffentlich protestieren, es gab keine Zensur, keine politischen Zwänge. Und wem das alles noch nicht passt, der konnte auswandern.

Das ergibt alles noch mehr als jenes Paradies, welches die kommunistische Theorie als leuchtende Zukunft seit Generationen vorhersagt."

Das war, daran muss hier wohl erinnert werden, noch bis zum Mauerfall real.

Der Kommunismus beherrschte damals ein Drittel der Welt. In der alten Bundesrepublik galten die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft nach Ludwig Erhards Devise vom "Wohlstand für alle". Der sogenannte "Rheinische Kapitalismus" mit seiner sozialen Komponente wurde neben dem skandinavischen Weg eines "Volksheimes" für alle Bürger als bis dahin erfolgreichstes Beispiel des Kapitalismus angesehen.

Spitzenmanager verdienten etwa zehnmal so viel wie der Durchschnitt ihrer Mitarbeiter, die auch um ihre soziale Sicherheit weltweit beneidet wurden. Es war ein goldenes Zeitalter für die Wirtschaftswunder-Kinder. Fast ununterbrochen ging es aufwärts.

Am Ende des gleichen Jahrzehnts bricht die Welt des Kommunismus zusammen, ohne dass sie je auch nur in einem Land ihrem roten Paradies näher gekommen wäre. Theoretisch könnten nun alle ihre Bürger in den Genuss der Wohltaten des Kapitalismus kommen, so leben wie im "goldenen Westen".

Doch die DDR-Bürger werden bitter enttäuscht sein. Es wird überhaupt nicht klappen. Die "Alten", mit der freien Marktwirtschaft aufgewachsenen Politiker werden durch ein demokratiefeindliches Wahlverhalten abgewählt. Nachrückende meinen die Demokratie und freie Marktwirtschaft neu erfinden zu müssen. Es wird niemand mehr da sein, um den Kapitalismus auf die alten Grundwerte zu korrigieren". Weiter mit "17 000 Ex-Stasi-Mitarbeiter arbeiten in Behörden"......>>>

(Reuters, 7 November 2009) - "Deutschland, 20. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer. Eine neue Studie zeigt, dass 1300000000000 € ($ 1,9 Trillion) aus dem Westen für den Wiederaufbau an den Osten übertragen worden sind, berichtete die Zeitung am Samstag. Weiter.....

 

Rückblick: Es folgt der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland:

 

VORWORT:

Es hat keine Revolution in der DDR gegeben!

Die Ostdeutschen sind zum Westen übergelaufen!

Nach derselben Logik war seinerzeit das Unwort "Republikflucht" gestrickt, in Analogie zur Fahnenflucht. Wir sind "übergelaufen", das soll auch diesmal heißen: 

Wir haben uns schmählich vor unserer Pflicht gedrückt. Und worin bestand diesmal unsere Pflicht? Über uns nachdenken, uns ändern, Buße und Selbstfindung also, am besten wohl kollektiv unter Anleitung eines Großen Psychotherapeuten. Weil wir das nicht wollten, sind wir geflohen. Auch aus diesem Grunde sind die Ostdeutschen "nicht geheilt."

Aus freien Wahlen ging eine freie Volkskammer hervor. Sie hat diese Macht dazu gebraucht, der Bundesrepublik mittels Verträgen beizutreten. Das war damals auch der Wille der ostdeutschen Mehrheit. Der konnte es nicht schnell genug gehen, möglichst schneller noch als der Prozess der internationalen Zustimmung namentlich der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs zuließ.

Es standen 400.000 sowjetische Soldaten in der DDR. Und die DDR stand vor der Zahlungsunfähigkeit in Devisen, aber die Sowjetunion erklärte, sie könne nicht helfen.

"Wir hätten dafür sorgen sollen, dass das Volkseigentum wirklich in das Eigentum des Volkes überführt wird." Ich muss gestehen, dass ich diesen Satz nicht verstehe. Eigentum stiftet Verfügungsrechte und Haftungspflichten. Gepflegt und erhalten werden muss es auch. Daran hatte es ja in der DDR so eklatant gemangelt, dass die meisten Industrieanlagen hoffnungslos veralteten und die Häuser verfielen. Eigentümer können immer nur Personen sein, natürliche oder juristische, also eine verfasste Gesellschaft. Das Volk aber ist keine juristische Person. Was meint er nur mit dem wirklichen Eigentum des Volkes? Es gab ja die Idee, das "Volkseigentum" (es war in Wahrheit Staatseigentum) durch Anteilscheine zu verteilen. Das ist in Russland praktiziert worden. Daraus entstanden die neuen Milliardäre, die wussten, welche Scheine was bringen und sie billig aufkauften.

In der Tschechoslowakei ist das auch praktiziert worden, aber nicht lange. Denn es erbrachte weder die notwendigen Investitionsmittel noch das notwendige technologische Know-how. Skoda wurde erst zum großen Erfolg, als es von VW übernommen wurde. Und was hätte ich denn von einem Anteilschein vom Trabantwerk gehabt? Wahres Volkseigentum. So ist das nun mal, wenn eine ganze Weltregion fünfzehn bis zwanzig Jahre hinter den technischen Entwicklungen hinterherhinkt und plötzlich nicht nur mit der westdeutschen, sondern auch der japanischen und südkoreanischen Industrie konkurrieren muss. Weiter...>>>

Ist das Satire, oder ganz einfach die nackte Wahrheit?

facebook Klaus-Peter Kolbatz

Für die SED war die Wiedervereinigung die einzige Rettung zum überleben und nur deshalb gab es keine "chinesischen Lösung". 

Jedoch standen schwer bewaffnete NVA Grenztruppen zum Selbstschutz vor Übergriffe auf Mielke und Co. bereit.

Sie SED machte sich wie geplant, die freien Wahlen in der demokratisch geführten Bundesrepublik zu Nutze und ist heute in Ost-Deutschland als "Die Linken", zweitstärkste Partei.

Margot Honecker, die Witwe des Ex-DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker, sagte am 29.10.2009 im ARD-Magazin „Panorama" „Der Sozialismus kommt wieder, auch in Deutschland." Sie lebt von ihrer deutschen Rente (ca. 1500 Euro) seit 1992 im Nobel-Vorort „La Reina" (dt. die Königin) von Santiago de Chile.Mehr lesen.

Quelle: facebook Klaus-Peter Kolbatz

 

Kommentar:

Mit der Massenflucht kamen auch die Trojanischen Pferde der SED und regieren heute unser Land.

Im Westen hat bis 1989 die Wirtschaft geplant und nicht die Politik! Nun plant die Politik und nicht die Wirtschaft! 

Siehe hierzu auch "Opel-Krise"....>>>

 

Wie es 1989 wirklich zum Fall der Mauer kam „Schabowskis Zettel“ 

– Das Blatt, das die Freiheit brachte -

 BILD ZOOM

Jeder kennt die Pressekonferenz, die die Welt veränderte: Günter Schabowski (heute 80), Sprecher des SED-Politbüros, verkündet am 9. November 1989 die Reisefreiheit für alle DDR-Bürger. Doch wie kam es wirklich zu der Weltsensation?

Entworfen worden war das Papier von einem DDR-Beamten im Innenministerium: Gerhard Lauter, Leiter der Hauptabteilung Pass- und Meldewesen. Er hatte dem Politbüro einen Entwurf für ein neues Reisegesetz aufgeschrieben, der faktisch das Ende der Mauer bedeutete: Reisefreiheit für alle, ohne Visa, ohne vorherige Genehmigung.

Der frisch gekürte neue Staatschef Egon Krenz ist es dann, der das Papier am Mittag des 9. November dem Zentralkomitee (ZK) vorträgt. Es entsteht ein bislang kaum bekannter Krenz-Originalton, der von ZK-Mikrofonen aufgezeichnet und überliefert ist.

Das ZK winkt den Lauter-Krenz-Vorschlag schließlich ohne Murren durch, versieht die Weltsensation aber mit einer Sperrfrist für den 10. November, 4 Uhr früh. Nur: Schabowski bekommt von der Sperrfrist nichts mit, spricht deshalb am Abend die berühmt gewordenen Worte: „Das tritt nach meiner Kenntnis ... ist das sofort, unverzüglich!“

DIE GESCHICHTE NIMMT IHREN LAUF.

AUDIO mp3 Teil I:  Egon Krenz erklärt Ausreiseproblematik

AUDIO mp3 Teil II: Egon Krenz kündigt Schabowskis

AUDIO mp3 Teil III: Egon Krenz verliest neue Reiseverordnung

 

 

7. Oktober 1989 - Stasi-Chef Erich Mielke gibt den Befehl zum Zuschlagen

Als die sowjetische Delegation um Gorbatschow wenig später die Feier im Palast der Republik verlässt und zum Flughafen Schönefeld aufbricht, gibt Stasi-Chef Erich Mielke den Befehl zum Zuschlagen: „Jetzt ist Schluss mit dem Humanismus.“ Im Schutz der Dunkelheit wird nicht nur auf dem Prenzlauer Berg und am Alexanderplatz auf oppositionelle Demonstranten eingeprügelt. Auch in Potsdam, Leipzig, Dresden, Plauen, Jena, Magdeburg, Arnstadt, Ilmenau und Karl-Marx-Stadt werden sämtliche politische Demonstrationen gewaltsam aufgelöst.

Allein in Ostberlin werden im Laufe der Nacht mehr als 1000 Menschen festgenommen und zum Teil misshandelt. „Mit unglaublicher Härte werden einzelne Demonstranten wie wahllos aus der Menge herausgegriffen und von bis zu acht zivilen MfS-Angehörigen zusammengeschlagen“, heißt es in einem 1991 veröffentlichten Report einer unabhängigen Berliner Untersuchungskommission. „Volkspolizisten und MfS-Mitarbeiter prügeln viele der Festgenommenen auf die Transportfahrzeuge, obwohl keine Gegenwehr erfolgt. Bevorzugt richtet sich die Brutalität gegen Frauen, um männliche Demonstranten zum gewaltsamen Handeln gegen die Sicherheitskräfte zu provozieren.“

 

9. Oktober 1989 Das Minutenprotokoll

19.10.2009 - 13:55 UHRBILD druckt das Protokoll des Tages, der in Leipzig das Ende der DDR besiegelte.

• 6.15 Uhr: Ein Telegramm von Erich Honecker erreicht die SED-Bezirkseinsatzleitung. Eine sofortige Krisensitzung wird angeordnet.

• 7.30 Uhr: Die Bezirkseinsatzleitung tagt. Ergebnis: ‚Demonstrationen können nicht verhindert werden! Bürgerkriegsähnliche Zustände zu erwarten!‘ Die Innenstadt wird abgeriegelt. 3100 Mann Bereitschaftspolizei, fünf Kampfgruppen-Hundertschaften, Tausende Stasi-Leute, Wasserwerfer, Armee-Einheiten mit aufmunitionierten Schützenpanzerwagen stehen bereit.

• 11 Uhr: Die Stimmung in der Innenstadt ist gereizt. An jeder Ecke Bereitschaftspolizei mit Schilden, Gummiknüppeln, Hunden. Auf den Dächern filmt die Stasi.

• 12 Uhr: Bezirkspolizeichef Generalmajor Straßenburg telefoniert mit Innenminister Dickel. Der rät zur Mäßigung.

• 13.30 Uhr: Vor der Oper kommt es zu Festnahmen.

• 13.45 Uhr: Gewandhauskapellmeister Prof. Kurt Masur sagt einen Probetermin ab: „Ich will nicht musizieren, während draußen ein Massaker stattfindet.“ Er ruft SED-Kultursekretär Kurt Meyer an: „Lassen Sie uns darüber nachdenken, was man tun kann, um heute Abend das Schlimmste zu verhindern.“

• 14.40 Uhr: In der Nikolaikirche sitzen schon 600 Leute, viele von ihnen Stasi-Mitarbeiter.

• 15.30 Uhr: Krisensitzung im Wohnzimmer von Prof. Masur: Meyer hat Theologe Peter Zimmermann, Kabarettist Bernd-Lutz Lange und die Leipziger SED-Bezirkssekretäre Jochen Pommert und Roland Wötzel mitgebracht. Sie verfassen die „Erklärung der Sechs“, rufen zur Besonnenheit auf. Sie wird am Nachmittag in vier Leipziger Kirchen und später von Masur im Stadtfunk verlesen.

• 17 Uhr: 8000 Menschen bei den Friedensgebeten.

• 18.10 Uhr: Überall Einsatzwagen, immer mehr Menschen auf den Straßen. Gerüchte um einen angeblichen Schießbefehl machen die Runde.

• 18.15 Uhr: Straßenburg fordert Polizei-Verstärkung aus Halle an.

• 18.35 Uhr: Der Generalmajor kapituliert vor der Menge. Befehl: „Nicht schießen!“

• 19 Uhr: 70 000 Menschen ziehen über den Ring. Sie rufen „Wir sind das Volk!“ und „Keine Gewalt!“. Polizei und Stasi schauen zu.

• 21 Uhr: Die Demonstration löst sich langsam auf.

 

9. November 1989

Öffnung der Übergänge der Berliner Mauer auch für Bürger der DDR. 

Auf einer Pressekonferenz teilt das Politbüromitglied Schabowski mit: "... haben wir uns dazu entschlossen, heute eine Regelung zu treffen, die es jedem Bürger der DDR möglich macht, über Grenzübergangspunkte der DDR auszureisen." Die daraufhin zahlreich aufbrechenden DDR-Bürger werden von den West-Berlinern herzlich begrüßt. An den Grenzübergängen drängen sich bald viele zehntausende Besuchswillige, so daß gegen 23.30 Uhr die Schlagbäume geöffnet werden müssen. Alle Kontrollen werden eingestellt: die Mauer hat ausgedient. 

"Mauerspechte" beginnen bald darauf, das monströse Bauwerk niederzulegen; ein weltweiter Souvenirhandel mit Mauerbruchstücken und ganzen Mauerabschnitten sowie Militaria aus Beständen der DDR und der Sowjetunion beginnt. Nach Angaben der "Arbeitsgemeinschaft 13. August" sollen allein an der Berliner Mauer 235 Menschen gestorben sein (an der innerdeutschen Grenze 370, und weitere 220 Todesopfer gab es an den DDR-Grenzen nach Osteuropa).

13. November 1989

In der Volkskammersitzung am 13.11.1989 gibt Finanzminister Ernst Höfner bekannt, daß sich die Inlandsverschuldung der DDR bereits auf 130 Milliarden Mark belaufe, während die Höhe der Auslandsschulden weiterhin als Geheimsache behandelt wird.

LINK zu: Am 28.11.1989 erklärte Bundeskanzler Helmut Kohl seinen 10- Punkte- Plan vor dem Deutschen Bundestag (pdf)

Dezember 1989

Auf einem Sonderparteitag versucht die SED, mit ihrem "realsozialistischen" Flügel abzurechnen; man stimmt der Umbenennung in "Partei des demokratischen Sozialismus (PDS)" zu. Die Volkskammer der DDR wählt den bisherigen Sekretär des SED-Bezirks Dresden, Hans Modrow, zum Vorsitzenden des Ministerrats der DDR.

März 1990

Bei den ersten freien Wahlen zur Volkskammer der DDR erreichen die christlich-demokratischen und die liberalen Parteien die Mehrheit. Die SPD schneidet unerwartet schwach ab, weil sich ihre Sprecher (außer Willy Brandt) gegen die mehrheitlichen Erwartungen der DDR-Bevölkerung - d.h. einer sofortigen deutschen Vereinigung - ausgesprochen hatten.

Die noch Ende November 1989 von Bundeskanzler Kohl projizierte schrittweise Annäherung der beiden Staaten über einen Zeitraum von ca. 5 Jahren war aufgegeben worden, als sich kurz darauf zeigte, daß die Menschen schnell "zur DM" wollten. "Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht, geh'n wir zu ihr!", stand im Frühjahr 1990 auf den Transparenten der Demonstranten in der DDR. Angesichts der anhaltenden Ströme von Übersiedlern sahen sich die Verhandlungsführer zu raschem Handeln gezwungen.

In Westberlin bestand bereits Notstand! Die Westberliner hatten inzwischen viele Flüchtlinge bei sich aufgenommen und die vom Westberliner Senat zur Verfügung gestellten Wohncontainer, Campinganhänger, und Turnhallen waren überbelegt. In Hamburg wurde das ehemalige Eroscenter für DDR-Übersiedler geräumt und waren bereits überfüllt. 

An der bayerisch-tschechischen Grenze melden sich pro Stunde 300 DDR-Übersiedler. Fast 20.000 DDR-Bürger sind es an einem Tag die in den Westen übergesiedelt sind. In Leipzig werden Wehrpflichtige als Bus- und Straßenbahnfahrer eingesetzt, da 40% der Stellen nicht mehr besetzt sind.

Die Volkskammer wählt Lothar de Maizière (CDU) zum Vorsitzenden des Ministerrats der DDR. Seinem Kabinett gehören anfangs Minister aller Parteien, außer der PDS, an.

Das sogenannte "Rote Rathaus" von Berlin

3. Oktober 1990 - Erweiterung der Bundesrepublik Deutschland durch Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik in den Geltungsbereich des Grundgesetzes. Die ehemaligen DDR-Gebiete werden nun amtlich "Beitrittsgebiete", umgangssprachlich "Neue Bundesländer" genannt. Wiedervereinigung der Stadt Berlin; Einwohnerzahl: 3,46 Millionen, Fläche: 889 km², 23 Bezirke (12 West + 11 Ost). Bundeshauptstadt ist Berlin, Regierungs- und Parlamentssitz vorläufig noch Bonn.

Ostdeutsche befürchten Benachteiligungen und es entbrennt eine hitzige Debatte um den Parlaments- und Regierungssitz des geeinten Deutschlands. 320 Stimmen gab es für den „Bonn-Antrag“. 337 Stimmen gab es für den Berlin-Antrag. 

Ein Fernsehreporter rief dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Vogel zu, in Bonn wurde effektiv gearbeitet und „Berlin“ habe nur mit den 17 Stimmen der PDS gewonnen. Im Ergebnis werden die Umzugskisten gepackt und es geht von Bonn nach Berlin. In den kommenden Jahren wird der Umzug mindestens fünf Milliarden Euro kosten,

Damit wurde auch die Ost-Mark als Zahlungsmittel wertlos und mußte eingestapft werden. Jede ausgegebene West-Mark wurde von den alten Bundesbürgern erwirtschaftet und war somit für den Osten geschenktes Geld.

VIDEO "Währungsunion" (.wmv 5,6K)

AUDIO: DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière kommentierte die Unterzeichung des Staatsvertrages mit den Worten (mp3)

Eindeutig ist: Für die D-Mark als Geschenk an die Ostdeutschen gab es keine Alternative.

Hans Modrow sollte in seiner Eigenschaft als noch Ministerpräsident der DDR eine Inventur über das DDR-Staatseigentum abgeben. Das Tat er nicht. Stattdessen verschob die SED/PDS ihr aus DDR-Zeiten stammendes Parteivermögen von mehr als zwei Milliarden Mark.

Entgegen der Warnung des Bundesbankpräsidenten Karl Otto Pöhl und div. Wirtschaftsberater setzte sich Bundeskanzler Kohl durch und erreichte das die Sparkonten der DDR-Bürger 1:1 bzw. 1:2 umgetauscht wurden.

Auf den Sparkonten der DDR-Bürger befanden sich rund 180 Milliarden DDR-Mark, die in DM umgestellt werden mussten. Von diesen 180 Milliarden DM wurden 60 Milliarden 1:1 getauscht, die verbleibenden 120 Milliarden wurden im Verhältnis 1:2 umgerechnet. Je nach Alter konnte man 2.000, 4.000 oder 6.000 DDR-Mark im Verhältnis 1:1 tauschen. Alles, was darüber hinaus ging, musste im Verhältnis 2:1 umgestellt werden.

Was hatten die Westdeutschen 1948 bei ihrem Einstieg in die freie Marktwirtschaft ?

Die USA wollten mit ihrem finanzielles Hilfsprogramm, auch Marshall-Plan genannt, zum Wiederaufbau der europäischen Länder beitragen. Das lehnten die UdSSR ab. Und so kam es, dass die Bewohner der Westzonen, am 20. Juni 1948, die neue Deutsche Mark an den Ausgabestellen für Lebensmittelkarten erhalten haben. 

Pro Kopf durften lediglich 60 Reichsmark eins zu eins in die neue Währung umgetauscht werden - 40 Mark sofort, 20 Mark nach zwei Monaten. Zum zweiten Mal innerhalb einer Generation, gerade einmal 25 Jahre nach der Hyperinflation von 1923, verloren deutsche Sparer fast ihr gesamtes Vermögen. Wer 1000 Reichsmark auf der hohen Kante hatte, sah sein Erspartes durch den Währungsschnitt auf überschaubare 26 D-Mark geschrumpft; wer nur 500 Reichsmark hatte sparen können, behielt davon gar nichts übrig.

Immobilen oder andere Werte die als Startkapital hätten dienen können, waren weitgehenst zerstört oder nicht mehr vorhanden. 

Quelle:"Luftbrücke Showdown mit den Sowjets"

***************

1990 - Statistisches Bundesamt „Immobilien Ost/West“ 

Durchschnittliche Grundstücksgröße/Belastung

Größe Ost 2.400qm. Größe West 500qm

Belastung Ost 0.00DM, Belastung West 170.000,00DM

*********************

 

Beispiel: Reparationszahlungen an Griechenland

Haben die Griechen wirklich Anspruch auf Kriegsreparationen?

• Fakt ist: Hitlers Wehrmacht fiel im April 1941 brutal über Griechenland her, warf Bomben auf griechische Städte (Athen, Korinth), ermordete oder verschleppte bis 1944 rund 130 000 Zivilisten, darunter 86 000 Juden. Weitere 300 000 Zivilisten starben an Hunger und Kälte unter der Herrschaft der Besatzer. 167 000 griechische Soldaten starben. Deutsche Kommandos verübten Massaker an Griechen (z. B. 218 Ermordete in der Ortschaft Distomo am 10. Juni 1944)

• Deshalb erhielt Griechenland nach Kriegsende Entschädigungen, z. B. Anteile aus dem deutschen Auslandsvermögen, dass die Alliierten nach Ende des 3. Reichs unter sich und den Opfern Nazi-Deutschlands aufteilten. Gesamtwert: über 10 Mrd. Reichsmark.

• 1960 zahlte die Adenauer-Regierung 115 Millionen Mark an Griechenland, um NS-Opfer und deren Nachkommen zu entschädigen – „endgültig“, wie es im Vertrag vom 18. März 1960 ausdrücklich heißt und vom griechischen Prinzregenten Constantin gegengezeichnet wurde.

• Zusätzlich erhielten rund 3000 NS-Opfer auch Zahlungen aus der Zwangsarbeiter-Stiftung.

Sind dennoch Wiedergutmachungszahlungen offen?

NEIN! Mit dem Zwei-Plus-Vier-Vertrag 1990 zur Wiedervereinigung wurde Deutschland aus der Reparationspflicht entlassen. Diesem Vertrag stimmte auch Griechenland im November 1990 mit der KSZE-Charta zu.„Damit hat die Reparationsfrage nach Auffassung der Bundesregierung ihre Berechtigung verloren“, heißt es 2006 in einer Stellungnahme des Bundesfinanzministeriums.

Durch den Solidarpakt sind bis 1990 sind 1.300 Milliarden D-Mark netto von West nach Ost geflossen und es kommen jedes Jahr 200 Milliarden hinzu. Korrekterweise müssen hier aber noch der Transfer von immaterielle Werte, wie z.B. Firmen hinzugerechnet werden, die mit unloyalen Steuervorteilen von West nach Ost gelockt wurden und damit in der Leistungsbilanz West ein erhebliches Loch gerissen haben. (siehe hierzu auch "Land der Ruinen")

Von 1991 bis 2000 haben der Bund, die westdeutschen Länder, die Sozialversicherungen und die EU über 1.300 Milliarden D-Mark netto zum Ausgleich dieses "Leistungsbilanzdefizits" nach Ostdeutschland transferiert. Netto, das heißt nach Abzug der ostdeutschen Steuerzahlungen an den Bundeshaushalt und der von Ostdeutschen geleisteten Beiträge zu Arbeitslosen- und Rentenversicherung.

1.300 Milliarden, ist das viel? Für 1.300.000.000.000 D-Mark kann man fast 52 Millionen Autos (so viele sind gegenwärtig in ganz Deutschland zugelassen) zu 25.000 D-Mark pro Stück kaufen. Oder 2,6 Millionen Eigenheime à 500.000 Mark. Dies ist viel, wenn man sich in die Lage einer westdeutschen Durchschnittsfamilie versetzt. 25.000 DM kann sie in zehn Jahren sparen - bestenfalls. Für die Altersvorsorge, für die Ausbildung der Jungen, für die Hypothek, fürs neue Auto.

Ostdeutschland gibt für Konsum, Staatsverbrauch und Investitionen in ihre Spaßgesellschaft/Prestigeobjekte 200 Milliarden mehr aus, als mit der heimischen Wertschöpfung geschaffen werden.

Wäre Ostdeutschland ein eigenständiger Staat, stünde er wegen dieses chronischen Leistungsbilanzdefizits schon unter Kuratel des Internationalen Währungsfonds.

Nach dem Statistisches Bundesamt (Juni 2008) ist die Staatsverschuldung inzwischen auf 1553,1 Milliarden Euro angestiegen, das entspricht rechnerisch für jeder Bundesbürger 18.880 Euro Schulden.

Diese finanzielle Last sind Heute maßgeblich für unsere wirtschaftlichen Schwierigkeiten verantwortlich.

Im Ergebnis haben wir uns hiermit den Frieden erkauft und zahlen Heute noch daran ab. Aber ist nicht hiervon ganz Europa Nutznießer ? !

Wir dürfen unseren Kindern nicht den Schuldenberg hinterlassen. Sparen ist das Rezept der Politiker. Aber was haben unsere Kinder davon wenn das Land kaputt gespart wurde und bereits Heute jedes 4. Kind hungert.

Was haben unsere Kinder davon, wenn wir Heute bis an die Grenze unserer Lebensqualität sparen und mit Atomkraftwerke Russisch Roulett spielen. 

weiter mit "Solidarpakt - Füllhorn für Ostdeutschland"

Kosten für den Truppenabzug der Sowjets aus der DDR.

Bei ihrem Treffen vom 15.-17. Juli 1990 in Moskau und im Kaukasus hatten Bundeskanzler Helmut Kohl und Präsident Michael Gorbatschow den Truppenabzuges aus der DDR vereinbart, der dann am 12.

Oktober 1990 von BM Genscher und dem sowjetischen Botschafter Terechow in Moskau vertraglich unterzeichnet wurde.

 

Voraussetzung des Truppenabzugs aus der DDR von noch etwa 380.000 Mann war, eine Zahlung in Höhe von 15 Mrd. DM und sich vertraglich zu einer längerfristigen wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit der Sowjetunion zu verpflichten.

 

Für den Freikauf der DDR leisteten die Bundesbürger aus West-Deutschland und West-Berlin ihren ersten Beitrag. 

Dieses Glück hatten die Polen nicht und entsprechend wird die östliche Hälfte von Polen bis Heute von den Sowjets besetzt.

 

      weiter zum Formular....>

Chronik mit Einzelheiten Januar 1989 bis Dezember 1990
 

"Die Mauer ... wird in fünfzig und auch in 100 Jahren noch bestehen bleiben", erklärt Erich Honecker noch Ende Januar 1989. Tatsächlich erscheint die DDR den meisten Zeitgenossen zu dieser Zeit stabil, obwohl das aufziehende wirtschaftliche Desaster am Zustand der Industrieanlagen, der Bausubstanz der Altstädte, der Straßen sowie der Luft- und Wasserverschmutzung erkennbar wird.

Doch der Zwang zu Veränderungen in der DDR kommt von außen. Die Sowjetunion steckt in einer tiefen ökonomischen und politischen Krise.

Um das Wettrüsten zu beenden und damit ihre Militärausgaben zu begrenzen, unterschreiben die Moskauer Führung und alle ihre Verbündeten im Januar 1989 das Wiener KSZE-Abkommen. Darin verpflichten sie sich, das Recht für alle Bürger zu garantieren, ausreisen und wieder zurückkehren zu dürfen.

Am 2. Mai 1989 bauen ungarische Grenzsoldaten den Stacheldrahtzaun zu Österreich ab. In der DDR wird auf ersten Demonstrationen das Recht auf Ausreise gefordert: Über 100.000 Menschen warten auf die Genehmigung ihres Ausreiseantrags. Doch die DDR-Regierung bleibt hart.

Zu Beginn der Sommerferien ziehen viele ausreisewillige DDR-Bürger die Konsequenz: Sie besetzen die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Ost-Berlin und die bundesdeutschen Botschaften in Warschau, Prag und Budapest. Tausende meist junge Leute fahren nach Ungarn mit dem Ziel, über Österreich in die Bundesrepublik auszureisen.

Am 10. September öffnet die ungarische Regierung die Grenze zu Österreich auch für DDR-Bürger. Die Mauer bröckelt, doch noch findet die SED Unterstützung in Prag.

DDR-Bürgern wird der Grenzübertritt von der Tschechoslowakei nach Ungarn verwehrt. Ende September besetzen über 10.000 DDR-Bürger die Botschaft der Bundesrepublik in Prag, um ihre Ausreise zu erzwingen. Am 30. September gibt Honecker nach und läßt die Flüchtlinge ziehen. Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher verkündet die Nachricht vom Balkon der Prager Botschaft aus.

Die DDR-Regierung zeigt weiter Härte und läßt die Grenze zur CSSR schließen. Gleichzeitig befiehlt Honecker, die immer zahlreicher stattfindenden Demonstrationen "im Keime zu ersticken".

Sein Plan, in Leipzig Panzer "zur Einschüchterung" auffahren zu lassen, wird jedoch von führenden Militärs verworfen. Am 17. Oktober wird Erich Honecker im SED-Politbüro gestürzt. Sein Nachfolger Egon Krenz kündigt eine "Wende" an, doch die Kundgebungen gegen die SED breiten sich nun in der gesamten DDR aus. Hunderttausende Menschen fordern freie Wahlen, die Zulassung von Oppositionsgruppen und Reisefreiheit. Und am 9. November fällt schließlich die Mauer...

Die Chronik des Jahres 1989 zeichnet die Stationen der Auflösung, von Ausreise und Protest nach.

Im Mittelpunkt stehen die dramatischen Ereignisse vor und nach dem Mauerfall - rekonstruiert und illustriert mit Hilfe von Dokumenten, Film- und Tonmaterial, Fotos und Zeitzeugen-Interviews. Spitzenpolitiker wie George Bush und Michail Gorbatschow, Helmut Kohl und Egon Krenz kommen ebenso zu Wort wie Generäle und Offiziere des Ministeriums für Staatssicherheit und der Nationalen Volksarmee sowie ganz normale Berliner, die die Mauer zu Fall brachten.

Januar 1989

Erich Honecker, 18.1.1989

3. Januar: Nach Angaben des Bundesinnenministeriums registrierten die Aufnahmelager in der Bundesrepublik im Jahr 1988 mit 39.832 doppelt so viele Übersiedler aus der DDR wie im Vorjahr (1987: 18.985). Auch die Zahl der deutschstämmigen Aussiedler vor allem aus Polen, der Sowjetunion und Rumänien sowie anderen Staaten schoss 1988 mit 202.673 gegenüber dem Vorjahr in die Höhe (1987: 78.523). Die Zahl der Asylbewerber stieg um 80 Prozent auf 103.076 an (1987: 57.379).

4. Januar: In einer Umfrage des RIAS auf dem Alexanderplatz äußern DDR-Bürger die Hoffnungen, die sie auf den Reformprozess in der Sowjetunion setzen. Ein weiterer Wunsch sind verbesserte Reisemöglichkeiten.

11. Januar: Gegen die Zusicherung von Straffreiheit durch DDR-Rechtsanwalt Wolfgang Vogel verlassen mehr als 20 ausreisewillige DDR-Bürger die Ständige Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin. Sie hatten sich dort mehrere Tage aufgehalten, um ihre Ausreise zu erzwingen. Inoffiziell ist ihnen durch Rechtsanwalt Vogel das Versprechen gegeben worden: "Ihre Angelegenheit kommt innerhalb dieses Jahres zu einem guten Ende." Bereits Ende Januar treffen die meisten im Notaufnahmelager Gießen ein.

15. Januar: Unterzeichnung des KSZE-Folgeabkommens in Wien. Darin geht auch die DDR unter anderem nicht nur die Verpflichtung ein, das Recht eines jeden "auf Ausreise aus jedem Land, darunter aus seinem eigenen, und auf Rückkehr in sein Land uneingeschränkt" zu achten, sondern dieses Recht auch gesetzlich zu garantieren und die Einhaltung dieser Verpflichtung beobachten zu lassen. Der sowjetische Botschafter in der DDR, Wjatscheslaw Kotschemassow, gibt später als Äußerung Honeckers wieder: "Wir geben Weisung, dieses Dokument zu unterzeichnen, werden es aber nicht erfüllen."

15. Januar: Massendemonstration in Prag aus Anlass des 20. Jahrestages der Selbstverbrennung von Jan Pallach. Die Polizei geht brutal gegen die Demonstranten vor.

18. Januar: Auf einer Tagung des Thomas-Müntzer-Komitees kündigt SED-Generalsekretär Erich Honecker öffentlich an, die Mauer werde "in 50 und auch in 100 Jahren noch bestehen, wenn die dazu vorhandenen Gründe nicht beseitigt sind." Honecker weiter: "Das ist schon erforderlich, um unsere Republik vor Räubern zu schützen, ganz zu schweigen vor denen, die gern bereit sind, Stabilität und Frieden in Europa zu stören. Die Sicherung der Grenze ist das souveräne Recht eines jeden Staates, und so auch unserer DDR."

20. Januar: Der bisherige amerikanische Vizepräsident George Bush wird als Nachfolger von Ronald Reagan als 41. Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt.

August 1989

Anfang August: Dem Entwurf einer Vorlage der ZK-Abteilung Sicherheitsfragen ("Information und Schlußfolgerungen zu einigen aktuellen Fragen der feindlichen Einwirkung auf Bürger der DDR") zufolge haben die DDR-Sicherheitsorgane 160 "feindliche, oppositionelle Zusammenschlüsse", darunter 150 sogenannte kirchliche Basisgruppen, mit insgesamt etwa 2.500 Personen gezählt. Es würden "ca. 25 nicht genehmigte Druck- und Vervielfältigungserzeugnisse mit antisozialistischem Inhalt hergestellt und verbreitet. Dazu wird fast ausschließlich kircheigene oder private Technik verwendet". Zu den Hauptrichtungen gegnerischen Einwirkens gehöre, der DDR "einen permanenten Nachholebedarf, insbesondere bei der Verwirklichung der Menschenrechte zu unterstellen. Darin eingeschlossen ist die anhaltende Diskreditierung der Kommunalwahlen." Als "sozialismusfremde Tendenz" unter Jugendlichen wird die Existenz von 51 Skin-Gruppen (denen ca. 1.000 Jugendliche angehören), von 10 Punk-Gruppen, 32 Heavy-Metals und 9 Grufti-Gruppierungen gesehen.

5. August: Erstmals nimmt die DDR-Regierung offiziell zu den Botschaftsflüchtlingen im DDR-Fernsehen DDR Stellung und bestätigt, dass sie ein Fluchtproblem hat.

7. August: Die SED-Führung kündigt die sogenannte Anwaltszusage auf. Rechtsanwalt Vogel teilt dem Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen mit, dass er Zufluchtsuchenden in den Vertretungen der Bundesrepublik nur noch Straffreiheit bei Verlassen und Rückkehr in die DDR, nicht aber mehr wie bisher eine schnelle positive Entscheidung des Ausreiseantrags zusagen könne. - In einer offiziellen Erklärung des DDR-Außenministeriums wird die Bundesregierung in scharfen Worten wegen der Wahrnehmung von Obhutspflichten für DDR-Bürger einer "groben Einmischung in souveräne Angelegenheiten der DDR" bezichtigt, die eine "typische großdeut­sche Anmaßung" sei und zu "folgenreichen Konsequenzen führen" könne.

8. August: Die Ständige Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin, die von rund 130 DDR-Bürgern besetzt ist, wird geschlossen. Am 14. und 22. August folgen die Schließungen der Botschaften in Budapest und Prag, in denen sich 171 bzw. 140 Fluchtwillige aufhalten. Bei nahezu jeder Begegnung mit den Spitzen der SED haben bundesdeutsche Politiker ihr Desinteresse an einer Ausreisewelle aus der DDR betont. Bundesdeutsche Regierungs- und Oppositionspolitiker warnen die DDR-Bürger nun öffentlich vor einer Flucht. In der westdeutschen Öffentlichkeit beginnt eine Diskussion darüber, ob und wie viele Flüchtlinge die Bundesrepublik noch aufnehmen könne oder wolle. - Kanzleramtsminister Rudolf Seiters gibt bekannt, dass bis Ende Juli 46.343 Personen legal aus der DDR in die Bundesrepublik übergesiedelt sind. Er appelliert an ausreisewillige DDR-Bürger, nicht den Weg über diplomatische Vertretungen der Bundesrepublik zu gehen.

 Bis zu 100 DDR-Bürgern gelingt täglich die Flucht von Ungarn nach Österreich, Hunderte werden aber auch noch festgenommen. Mehrere tausend DDR-Urlauber lagern in Budapest bei 35 Grad Hitze am Straßenrand und in Vorgärten und warten auf ihre Fluchtchance.

14. August: Anlässlich der Übergabe erster Funktionsmuster von 32-bit-Mikroprozessoren durch das Erfurter Kombinat Mikroelektronik erklärt Erich Honecker: "Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf."

19. August: Das Ungarische Demokratische Forum und weitere ungarische Oppositionsgruppen haben unter Schirmherrschaft des Europa-Abgeordneten Otto von Habsburg und des ungarischen Reformpolitikers Imre Pozsgay, Mitglied des Politbüros der USAP und Staatsminister, zu einem "paneuropäischen Picknick" an die ungarisch-österreichische Grenze bei Sopron geladen, um durch die symbolische Öffnung eines Grenztores und eine "einmalige, okasionelle Grenzüberschreitung" für einen Abbau der Grenzen und ein geeintes Gesamteuropa zu demonstrieren. Über 600 DDR-Bürger stürmen durch ein nur angelehntes Grenztor nach Österreich. Nach wenigen Stunden wird das Tor wieder geschlossen.

Die gefahrlose Grenzüberquerung, so wird später bekannt, wurde durch ein Stillhalteabkommen zwischen Staatsminister Pozsgay, dem Innenminister und dem Chef der Grenztruppen ermöglicht – und ist ein Test, wie die Sowjetunion auf derartige Aktionen reagiert.

21. August: Bei Demonstrationen in Prag anlässlich des 21. Jahrestages der Niederschlagung des "Prager Frühlings" werden mehrere hundert Menschen verhaftet.

22. August: Ein DDR-Bürger wird bei einem Fluchtversuch nach Österreich von einem ungarischen Grenzposten erschossen.

23. August: Hunderttausende gedenken in den baltischen Republiken der Sowjetunion der verlorenen Unabhängigkeit.

24. August: Mithilfe des Internationalen Roten Kreuzes werden über einhundert zufluchtsuchende DDR-Bürger aus der Budapester Botschaft über Österreich in die Bundesrepublik ausgeflogen. - In Polen wird Solidarnosc-Mitbegründer Tadeusz Mazowiecki zum ersten nichtkommunistischen Ministerpräsidenten gewählt.

25. August: In Bonn kommen der ungarische Ministerpräsident Miklos Németh und Außenminister Gyula Horn mit Bundeskanzler Helmut Kohl und Außenminister Hans Dietrich Genscher zu einem Geheimtreffen auf Schloß Gymnich zusammen. Németh eröffnet das Gespräch mit Bundeskanzler Kohl und Außenminister Genscher nach seinen Angaben mit den Worten: "Herr Bundeskanzler, Ungarn hat sich entschieden, den DDR-Bürgern die freie Ausreise zu erlauben. Wir haben uns dazu vor allem aus humanitären Gründen entschieden."

Horst Teltschik zufolge versichert Kohl seinen Gesprächspartnern, die Nachteile auszugleichen, die Ungarn durch eventuelle Vergeltungsmaßnahmen der DDR entstehen würden. Die Bundesregierung gewährt Ungarn im Gegenzug, aber zeitlich versetzt, einen zusätzlichen Kredit über 500 Millionen DM und verspricht die Aufhebung des Visazwangs und politische Hilfe beim angestrebten EG-Beitritt.

26. August: Eine Initiativgruppe, zu der Martin Gutzeit, Markus Meckel, Arndt Noack und Ibrahim Böhme gehören, ruft zur Gründung einer sozialdemokratischen Partei in der DDR auf.

29. August: Auf einer SED-Politbüro-Sitzung herrscht Ratlosigkeit, wie mit der Flüchtlingskrise weiter umgegangen werden soll. Günter Mittag, der den kranken Erich Honecker vertritt, führt aus: "Ich möchte auch manchmal den Fernseher zerschlagen, aber das nützt ja nichts. (...) Die Sache mit Ungarn ist doch nicht zufällig vorbereitet worden. Das ist ein Angriff an der schwächsten Stelle, um auch die DDR in Misskredit zu bringen.

Genosse Mielke könnte eine Stunde und länger erzählen, welche Mittel dafür eingesetzt wurden. Dazu kommt die Frontberichterstattung des Gegners, wie wir das völlig richtig bezeichnet haben. Wir müssen in den Hauptpunkten die Gebrechen des Imperialismus zeigen. Wir müssen entlarven, wo er den Sozialismus unterwühlen will. Aber die Grundlinie ist: Wir tun das souverän und führen keinen Schlagabtausch. Das hat sich bewährt. Wir müssen überlegen, wie wir die Argumentation weiterführen."

31. August: Der ungarische Außenminister Gyula Horn trifft in Ost-Berlin zu Gesprächen mit DDR-Außenminister Oskar Fischer und Günter Mittag ein. Horn kündigt an, dass Ungarn die Flüchtlinge ab dem 11. September ausreisen lassen wird, falls sie bis dahin nicht durch eine Ausreisezusage zur Rückkehr in die DDR bewogen worden sind. Mittag und Fischer lehnen beides ab.

 

September 1989

Ohne um Erlaubnis in Moskau zu bitten, öffnet die ungarische Regierung in diesem Monat ihre Grenze zu Österreich für DDR-Bürger - und reißt damit das erste Loch in die Mauer.

4. September: Im Anschluss an das montägliche Friedensgebet in der Leipziger Nikolaikirche findet eine Demonstration von etwa 1.200 Menschen statt. Ausreisewillige Demonstranten skandieren: "Wir wollen raus!" und fordern freie Fahrt nach Gießen. In Böhlen treffen sich Vertreter einer sozialistischen Opposition und verabschieden einen Appell "Für eine vereinigte Linke in der DDR", der für eine radikale sozialistische Erneuerung plädiert und dafür in der DDR und in der CSSR die besten wirtschaftlichen und politischen Voraussetzungen sieht.

8. September: Aufgrund von Zusicherungen von DDR-Rechtsanwalt Vogel verlassen alle DDR-Bürger die Ständige Vertretung in Ost-Berlin. Sie wird anschließend für den Besucherverkehr geschlossen. – In Budapest gelingt es Stasi-Mitarbeitern nicht, Ausreisewillige zur Rückkehr in die DDR zu bewegen.

9. September: Wie die "Tagesschau" erfahren hat, soll die Ausreise der DDR-Flüchtlinge aus Ungarn unmittelbar bevorstehen.

10. September: Die ungarische Regierung öffnet in der Nacht zum 11. September die Grenze zu Österreich für DDR-Bürger. Zehntausende von DDR-Bürgern reisen in den nächsten Tagen und Wochen über Österreich in die Bundesrepublik aus. KPdSU-Generalsekretär Michail Gorbatschow bestätigt später, dass die Ungarn für diesen Schritt nicht mehr in Moskau um Erlaubnis gebeten hatten.

11. September: Erneutes Friedensgebet in der Leipziger Nikolaikirche; die Volkspolizei sperrt den Nicolaikirchhof ab, um eine Demonstration zu verhindern. Zahlreiche Menschen werden verhaftet.

12. September: Als wichtigste Frage wird auf der dienstäglichen Politbüro-Sitzung von Günter Mittag, der den erkrankten Honecker vertritt, thematisiert, wie "das Loch Ungarn zuzumachen" sei, denn die Beantragung von Reisen nach Ungarn ist überall in der DDR sprunghaft angestiegen. Um "schwere Einbußen" an Bürgern zu vermeiden, schlägt Mittag vor, "die Ausreisen nicht mehr so global durchzuführen wie bisher. Wieso müssen die wackligen Kandidaten fahren? Diese interne Regelung darf allerdings nicht unsere Partei und die Masse der Bevölkerung betreffen. Wir würden sie verärgern. MfS und MdI sollen diese Maßnahmen durchführen."

Noch am gleichen Tag befiehlt Stasi-Minister Mielke einen "Maßnahmeplan zum rechtzeitigen Erkennen und zur vorbeugenden Verhinderung des Missbrauchs von Reisen nach der bzw. durch die Ungarische Volksrepublik". Er sieht vor, dass alle Reiseanträge nach Ungarn, Bulgarien und Rumänien zentral von der Stasi überprüft werden. Auf der Grundlage des über die Antragsteller gesammelten Materials "hat die erfassende Diensteinheit zu entscheiden, ob gegen die Genehmigung der Reise aus sicherheitspolitischen Gründen Einspruch zu erheben ist." Dieser Einspruch sei gegen die Volkspolizei als eigentlich zuständiger Behörde durchzusetzen.

12. September: Auf Einladung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) trifft der FDGB-Vorsitzende Harry Tisch in der Bundesrepublik ein. Von Journalisten auf die Fluchtwelle aus der DDR angesprochen, fordert er verärgert unter anderem ein Ende der "Schlammschlacht".

14. September: In Bonn gibt der Erfurter Pfarrer Edelbert Richter die Gründung der DDR-Oppositionsgruppe "Demokratischer Aufbruch" bekannt, die sich für eine "sozialistische Gesellschaftsordnung auf demokratischer Basis" ausspricht und unter anderem für Menschenrechte, Reisefreiheit, Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit und freie Wahlen in der DDR eintritt. – Der West-Berliner Senat berät über die zunehmende Zahl von DDR-Flüchtlingen und deren Unterbringung. Es soll alles unternommen werden, um Notquartiere bereitzustellen.

18. September: Hunderte von Demonstranten gehen in Leipzig im Anschluss an das Friedensgebet in der Nikolaikirche auf die Straße. "Wir bleiben hier!", lauten die Sprechchöre, und nicht mehr, wie in den zurückliegenden Wochen: "Wir wollen raus!" Zahlreiche Demonstranten werden festgenommen. – Rockmusiker, Liedermacher und Unterhaltungskünstler fordern angesichts der Fluchtbewegung in einer öffentlichen Resolution Demokratisierung und Reformen, die den Sozialismus möglich machen; feiges Abwarten liefere "gesamtdeutschem Denken Argumente und Voraussetzungen".

19. September: Das Neue Forum, das am 10. September mit einem Gründungsaufruf an die Öffentlichkeit getreten ist, beantragt als erste oppositionelle Gruppierung die Zulassung als Bürgervereinigung. Zwei Tage später lehnt das Innenministerium den Antrag mit der Begründung ab, das Neue Forum stelle eine "staatsfeindliche Plattform" dar. Den Aufruf des Neuen Forum haben bis zu diesem Zeitpunkt 3.000 Menschen unterschrieben. - Die Synode des Evangelischen Kirchenbundes verabschiedet in Eisenach einen Beschluss, in dem sie eine pluralistische Medienpolitik, demo­kratische Parteienvielfalt, Reisefreiheit für alle Bürger, wirtschaftliche Reformen und Demonstrationsfreiheit als "längst überfällige Reformen" einklagt.

20. September: Die Bonner Botschaft in Warschau muss wegen Überfüllung geschlossen werden. - Das ZK der KPdSU verabschiedet eine Erklärung zur Nationalitätenpolitik, in der den Republiken wirtschaftliche Selbstständigkeit versprochen wird.

22. September: Fest entschlossen, allen Demonstrationen und "Provokationen" ein schnelles Ende zu bereiten, weist Erich Honecker die Ersten Sekretäre der SED-Bezirksleitungen in einem Fernschreiben an, "dass diese feindlichen Aktionen im Keime erstickt werden müssen, dass keine Massenbasis dafür zugelassen wird." Zugleich sei Sorge dafür zu tragen, "dass die Organisatoren der konterrevolutionären Tätigkeit isoliert werden."

24. September: Die Botschaft der Bundesrepublik in Prag wird zum Sammelpunkt für DDR-Flüchtlinge, weil die CSSR die Kontrollen an der Grenze zu Ungarn verschärft.

25. September: Auf der Montagsdemonstration in Leipzig fordern 5.000 bis 8.000 Demonstranten demokratische Reformen und die Zulassung des Neuen Forum. Die Ausreisewilligen unter den Demonstranten sind jetzt zur Minderheit geworden.

26. September: Der stellvertretende Stasi-Minister Rudolf Mittig ruft die stellvertretenden Chefs der MfS-Bezirksverwaltungen zusammen und gibt als Parole aus, die "feindlich-oppositionellen Zusammenschlüsse" mit dem Ziel der Zerschlagung "operativ zu bearbeiten". Das MfS solle in diesen Gruppen - nicht zuletzt mit seinen darin vertretenen inoffiziellen Mitarbeitern - Grabenkämpfe forcieren, Misstrauen säen, die Mitglieder aufsplittern und versuchen, die Politisierung der Gruppen durch das Aufwerfen von Organisations- und Strukturfragen stoppen.

Ebenfalls an diesem Tag befiehlt Honecker zur "Gewährleistung der Sicherheit und Ordnung" und "zur Verhinderung von Provokationen unterschiedlicher Art" für den 40. Jahrestag der DDR die Herstellung der Führungsbereitschaft der Bezirkseinsatzleitung Berlin sowie der Kreiseinsatzleitungen der Berliner Stadtbezirke. Auf der Grundlage dieses Befehls bringt Verteidigungsminister Keßler am nächsten Tag vorsorglich die Nationale Volksarmee für die Zeit vom 6. bis zum 9. Oktober befehlsmäßig für einen Einsatz in Berlin in Stellung.

27. September: Die CSSR-Regierung erklärt, dass es für die mittlerweile mehr als 900 Prager Botschaftsbesetzer keine ungarische Lösung geben werde.

29. September: Gewerkschaftsmitglieder aus dem VEB Bergmann-Borsig, einem Berliner Großbetrieb, verleihen gegenüber dem FDGB-Vorsitzenden und Politbüromitglied Harry Tisch ihrer Empörung Ausdruck, "die Abkehr so vieler unserer Menschen ausschließlich als Machwerk des Klassengegners zu entlarven, bei dem diese DDR-Bürger nur Opfer oder Statisten sein sollen." Wie Rockmusiker und Künstler, Schriftsteller und Wissenschaftler und auch Vertreter der Blockparteien fordern sie die SED zum öffentlichen Dialog mit allen Kräften in der Gesellschaft auf.

30. September: Die DDR lenkt im Prager Botschaftskonflikt auf sowjetischen Druck hin ein: Außenminister Genscher und Kanzleramtsminister Seiters reisen nach Prag und verkünden die Ausreiseerlaubnis für die Botschaftsbesetzer. In verriegelten Sonderzügen werden einige tausend DDR-Flüchtlinge über das Territorium der DDR in die Bundesrepublik gebracht.

Oktober 1989

Montagsdemonstration und Diskussion von Bürgerrechtlern in der Gethsemane-Kirche, 9.10.1989

1. Oktober: Die Gründungsmitglieder des Neuen Forum geben bekannt, dass sie gegen die Nichtzulassung als Vereinigung beim Ministerium des Innern Beschwerde einlegen werden. Sie zeigen sich von dem riesigen Interesse am Neuen Forum überrascht; man wolle kein Reformkonzept vorgeben, sondern dieses "in einem übergreifenden Diskussionsprozess erst entwickeln". Die Wiedervereinigung sei kein Thema, "da wir von der Zweistaatlichkeit Deutschlands ausgehen und kein kapitalistisches Gesellschaftssystem anstreben. Wir wollen Veränderungen hier in der DDR."

2. Oktober: Montagsdemonstration in Leipzig mit bis zu 20.000 Teilnehmern. Die Losungen lauten unter anderem: "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit", "Wir bleiben hier", Gorbi, Gorbi", "Neues Forum zulassen" und "Freiheit für die Gefangenen". Am Ende greift eine Kompanie der Volkspolizei mit Sonderausrüstung ein; es gibt Verletzte und 20 "Zuführungen". Zum ersten Mal, erinnerte sich Martin Jankowski, einer der Demonstrationsteilnehmer später, wurde bei dieser Demonstration "Wir sind das Volk" gerufen: "Als die Polizisten den Lautsprecher einschalteten und sagten: ‚Hier spricht die Volkspolizei’, antwortete die Menge: ‚Wir sind das Volk’. Sie kamen gar nicht dazu, den Spruch zu vollenden. Es gab wirklich so eine Art Wechselgesang, was uns eine Zeitlang sehr amüsierte. (...) Das war der Tag, an dem zum ersten Mal in Leipzig dieser Spruch ‚Wir sind das Volk’, und zwar gerichtet an die Volkspolizei, gerufen wurde."

2. Oktober: In Peking ist am Vortag der 40. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik China feierlich begangen worden; Egon Krenz nimmt für das SED-Politbüro teil. "In den Kämpfen unserer Zeit stehen DDR und China Seite an Seite" – diese Schlagzeile des "Neuen Deutschland" weckt Befürchtungen, dass auch die SED bereit sein könnte, Demonstrationen gewaltsam niederzuschlagen.

In einem ADN zugeschriebenen Kommentar wird den über Prag ausgereisten DDR-Bürgern hinterher gerufen: "Wir weinen ihnen keine Träne nach."

3. Oktober: Die DDR schließt faktisch ihre Grenzen, indem sie den visafreien Reiseverkehr in die CSSR "aussetzt"; ab dem nächsten Tag wird diese Maßnahme auch auf den Transitverkehr nach Bulgarien und Rumänien ausgedehnt. Proteste bis hin zu Streikandrohungen aus den grenznahen Gebieten zur CSSR sind die Folge.

4. Oktober: Noch einmal dürfen etwa 7.000 DDR-Bürger, die erneut die Prager Botschaft besetzt haben, in verriegelten Sonderzügen in die Bundesrepublik ausreisen. Am Dresdener Hauptbahnhof kommt es in der Nacht zum 5. Oktober zu einer Straßenschlacht zwischen Ordnungskräften und etwa 10.000 Demonstranten, die auf die Flüchtlingszüge aufspringen wollen.

6. Oktober: In der "Leipziger Volkszeitung" wird unter dem Namen des Kommandeurs der Kampfgruppenhundertschaft "Hans Geiffert", Günter Lutz, und der Überschrift "Staatsfeindlichkeit nicht länger dulden" bekannt gegeben, dass die Kampfgrüppler im Hinblick auf die bevorstehende Montagsdemonstration bereit und willens seien, "das von uns mit unserer Hände Arbeit Geschaffene wirksam zu schützen, um diese konterrevolutionären Aktionen endgültig und wirksam zu unterbinden. Wenn es sein muss, mit der Waffe in der Hand."

6./7. Oktober: Staatsfeierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR in Anwesenheit von Michail Gorbatschow, der mit "Gorbi, hilf uns"-Rufen begrüßt wird. "Tagesschau" und "Tagesthemen" berichten darüber.

40. Jahrestag der DDR: Militärparade der NVA, 7. Oktober 1989

In einem Vieraugengespräch der beiden Generalsekretäre prahlt Honecker mit den Erfolgen der DDR, lobt besonders das Wohnungsbauprogramm der SED und die angebliche Weltspitzenposition auf dem Gebiet der Mikroelektronik. Gorbatschow, der im Bilde ist, dass die DDR in Wirklichkeit vor der Zahlungsunfähigkeit steht, fühlt sich für dumm verkauft:

"Ich war entsetzt. Drei Stunden unterhielt ich mich mit ihm. ... Und er fuhr fort, mich von den mächtigen Errungenschaften der DDR überzeugen zu wollen."

In einem spontanen Interview an der Ost-Berliner Neuen Wache äußert Michail Gorbatschow den Satz: "Gefahren warten nur auf jene, die nicht auf das Leben reagieren!" Vor dem SED-Politbüro variiert er diesen Satz: "Wenn wir zurückbleiben, bestraft uns das Leben sofort."

Nicht Gorbatschow, sondern sein Pressesprecher Gennadi Gerassimow, macht daraus am Abend den Ausspruch "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben!"

Am Abend des 7. Oktober demonstrieren Jugendliche vor dem Palast der Republik. An diesem wie am folgenden Abend kommt es in Ost-Berlin und anderen Städten zu schweren Übergriffen der Volkspolizei und Massenfestnahmen.

8. Oktober: Erich Honecker teilt den Ersten Sekretären der SED-Bezirksleitungen telegrafisch mit, dass die Demonstrationen des Vortages "gegen die verfassungsmäßigen Grundlagen unseres sozialistischen Staates gerichtet waren." Es sei damit zu rechnen, dass es zu weiteren "Krawallen" käme. Für diesen Fall erteilt er den Befehl: "Sie sind von vornherein zu unterbinden." Die Bezirkseinsatzleitungen, so Honeckers Anweisungen weiter, sollten unverzüglich zusammenkommen und "Maßnahmen" beraten; die Ersten Sekretäre hatten fortan der Abteilung Parteiorgane des ZK täglich über die Lageentwicklung zu berichten.

Entsprechend beurteilt Stasi-Chef Mielke die Lage im Innern "als erheblich verschärft". Zur wirksamen Zurückdrängung bzw. Unterbindung aller "Zusammenrottungen" befiehlt der Stasi-Chef am gleichen Tag "volle Dienstbereitschaft" für alle Angehörigen des MfS und die Bereithaltung ausreichender Reservekräfte, "deren kurzfristiger Einsatz auch zu offensiven Maßnahmen zur Unterbindung und Auflösung von Zusammenrottungen zu gewährleisten ist." Stasi-Mitarbeiter haben bis auf Widerruf ihre Dienstwaffe ständig bei sich zu führen. Die Berichterstattung westlicher Journalisten über Demonstrationen soll konsequent verhindert werden. – Ungeachtet dessen beginnt in Dresden der Dialog zwischen Opposition ("Gruppe der 20") und der bezirklichen SED-Führung.

9. Oktober: "Tag der Entscheidung" in Leipzig: 70.000 Menschen demonstrieren in Leipzig friedlich für Reformen. Obwohl die DDR-Sicherheitsbehörden die Verhinderung der Demonstration geplant und, falls dies nicht möglich ist, ihre Zerschlagung und die Verhaftung der "Rädelsführer" stabsmäßig geübt haben, greift die Staatsmacht nicht ein. Die unerwartet große Zahl der Demonstranten bricht den Handlungswillen der Sicherheitsorgane. – Auch in Halle und in Magdeburg beteiligen sich mehrere tausend Menschen an Demonstrationen.

10. Oktober: Gespräche zwischen den Dresdner Oberbürgermeister Wolfgang berhofer und der Opposition wecken Hoffnungen auf den Beginn eines Dialogs.

10./11. Oktober: Am Ende einer ungewöhnlich kontrovers verlaufenden zweitägigen Krisensitzung erklärt das SED-Politbüro die Bereitschaft der Partei zu einem Dialog mit der Bevölkerung. Erstmals gesteht das Politbüro ein, dass Ursachen für die Fluchtbewegung auch in der DDR selbst zu suchen seien. Zum anderen unterbreitet es das von vielen geforderte Dialogangebot: "Gemeinsam wollen wir über alle grundlegenden Fragen unserer Gesellschaft beraten, die heute und morgen zu lösen sind. (...) Es geht um die Weiterführung der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik. Es geht um wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und ihren Nutzen für alle, um demokratisches Miteinander und engagierte Mitarbeit, um gute Warenangebote und leistungsgerechte Bezahlung, um lebensverbundene Medien, um Reisemöglichkeiten und gesunde Umwelt". - Egon Krenz hat diese Erklärung gegen den erbitterten Widerstand von Honecker im Politbüro durchgesetzt.

16. Oktober: Mehr als 100.000 Menschen demonstrieren in Leipzig. Sie fordern die Zulassung des Neuen Forum, freie Wahlen sowie Reise-, Presse- und Meinungsfreiheit. Auch parallele Demonstrationen mit rund 10.000 Teilnehmern in Dresden und Magdeburg, 5.000 in Halle und 3.000 in Berlin verlaufen friedlich.

17./18. Oktober: Ein erbitterter Machtkampf im SED-Politbüro endet mit dem Sturz Erich Honeckers, der gezwungen wird, seinen Abgang im SED-Zentralkommitee mit gesundheitlichen Gründen zu erklären. Egon Krenz wird neuer SED-Generalsekretär. Als politisches Credo seiner Politik der "Wende" verkündet Krenz: "Wir lassen uns von der festen Überzeugung leiten, dass alle Probleme in unserer Gesellschaft politisch lösbar sind." In seiner Antrittsrede verspricht Egon Krenz zudem, "einen Gesetzentwurf über Reisen von DDR-Bürgern ins Ausland vorzubereiten. Wir gehen davon aus, dass dieser Entwurf nach öffentlicher Aussprache in der Volkskammer behandelt und beschlossen werden sollte. Im Zusammenhang damit könnten ebenfalls die zeitweilig getroffenen einschränkenden Maßnahmen zum Reiseverkehr in sozialistische Bruderländer aufgehoben beziehungsweise modifiziert werden."

21. Oktober: Auf einer Dienstbesprechung des erweiterten Führungskreises des MfS lässt Stasi-Chef Mielke wenig Zweifel daran, dass die Linie der Partei, politische Probleme mit politischen Mitteln zu lösen, gegen seine tschekistische Grundüberzeugung verstößt. Sie bedeute, läßt Mielke wissen, auf die "antisozialistischen Sammlungsbewegungen" nicht so zu reagieren, wie es "diese Kräfte eigentlich verdienen." Um so entscheidender wirkt sich auf das Verhalten des MfS bis zum Fall der Mauer und auch danach aus, dass Mielke trotz seines Unverständnisses jede eigenständige Politik des MfS an der Partei vorbei kategorisch ausschließt.. "Bei allem, was wir tun," schärft er seinen Leitungskadern ein, "ist bis zur letzten Konsequenz davon auszugehen: Alle Maßnahmen des Ministeriums für Staatssicherheit, jeder Diensteinheit, haben sich in die Generallinie, in die Beschlüsse des Zentralkomitees und seines Politbüros einzuordnen, müssen auf ihre strikte Durchsetzung gerichtet sein." Gewaltsame Mittel dürften nur eingesetzt werden, "wenn eine unmittelbare Gefährdung von Personen, Objekten und Sachen vorliegt und anders nicht abzuwenden ist". In den nächsten Tagen, kündigt Mielke an, würden zentrale Entscheidungen getroffen, wie künftig gegen die oppositionellen Bewegungen vorgegangen werde.

23. Oktober: 300.000 Menschen demonstrieren in Leipzig, Zehntausende in Magdeburg, Dresden, Schwerin, Zwickau, Halle, Stralsund und Berlin sowie bereits an den Vortagen in Plauen und Rostock.

24. Oktober: Das SED-Politbüro fasst einen Beschluss zu "Reisen von Bürgern der DDR in das Ausland": "1. Der Entwurf des Gesetzes zu Reisen von Bürgern der DDR in das Ausland und Varianten für die Finanzierung der Reisen sind dem Politbüro kurzfristig vorzulegen. (...) 2. Zur breiten Diskussion des Gesetzentwurfes ist eine Argumentation auszuarbeiten."

26. Oktober: Das MfS zählt allein an diesem Tag 160.000 Bürger, die auf Demonstrationen in den Bezirken Rostock, Erfurt, Gera, Schwerin, Chemnitz, Neubrandenburg, Dresden und Halle vor allem freie Wahlen, die Zulassung der Oppositionsgruppen und Reisefreiheit fordern. Hat das MfS in der Woche vom 16. bis 22. Oktober insgesamt 140.000 Teilnehmer auf 24 Demonstrationen registriert, so beteiligen sich vom 23. bis 30. Oktober 540.000 Teilnehmer an 145 Demonstrationen. Die Verhängung eines Ausnahmezustandes wird von führenden SED-Funktionären nicht länger ausgeschlossen. – In einem zwanzigminütigen Telefongespräch mit Bundeskanzler Kohl bekundet SED-Generalsekretär Egon Krenz sein Interesse, die Beziehungen zur Bundesrepublik "auf eine - ich darf das wohl so sagen - auf eine neue Stufe" zu heben. Kanzleramtsminister Seiters und Staatssekretär Schalck-Golodkowski werden als Vertraute benannt.

27. Oktober: Der DDR-Staatsrat verkündet eine Amnestie für alle Flüchtlinge und Demonstrationsteilnehmer. – Der DDR-Ministerrat beschließt, die am 3. Oktober verhängte "zeitweilige Aussetzung des paß- und visafreien Reiseverkehrs" nach der CSSR ab 1. November 1989 aufzuheben. Ab diesem Zeitpunkt sollen DDR-Bürger die Grenze zur CSSR wieder mit ihrem Personalausweis überqueren können.

31. Oktober: Die USA und die Sowjetunion vereinbaren für den 2./3. Dezember ein Gipfeltreffen auf Malta.

31. Oktober: Das SED-Politbüro erörtert eine Vorlage von fünf führenden Ökonomen zur "Analyse der ökonomischen Lage der DDR mit Schlussfolgerungen". Um der erforderlichen Absenkung des Lebensstandards um 25 bis 30 Prozent und der drohenden Zahlungsunfähigkeit der DDR zu entgehen, empfehlen sie, der Bundesregierung für die Gewährung dringend erforderlicher neuer Kredite und eine erweiterte wirtschaftliche Kooperation als Tauschmittel die Mauer anzubieten.

1. November 1989 (Mittwoch)

Das erste Treffen zwischen den Generalsekretären des ZK der SED, Egon Krenz und der KPdSU, Michail Gorbatschow fand in Moskau statt, 1. November 1989

Bei einem Arbeitsbesuch in Moskau berichtet Egon Krenz dem KPdSU-Generalsekretär ausführlich über die schwierige ökonomische Situation der DDR. Er erhält von Michail Gorbatschow die unmissverständliche Auskunft, dass sich die Sowjetunion zu einer wirtschaftlichen Hilfe für die DDR außerstande sieht. Im Hinblick auf die zukünftige Gestaltung der deutsch-deutschen Beziehungen macht Gorbatschow deutlich, dass die deutsche Frage nicht auf der Tagesordnung stehe; ihre Lösung sei kein Problem der aktuellen Politik. - Vor seiner Abreise aus Moskau äußert sich Krenz auf einer Pressekonferenz zur Frage der Wiedervereinigung.

Aufgrund des Drucks der Bevölkerung wird der pass- und visafreie Reiseverkehr von der DDR in die CSSR wieder zugelassen. Erneut strömen DDR-Bürger in die bundesdeutsche Botschaft in Prag, um ihre Ausreise in die Bundesrepublik zu erwirken.

Zehntausende demonstrieren in zahlreichen DDR-Städten für Veränderungen, so zum Beispiel in Neubrandenburg, Frankfurt/Oder, Freital und Ilmenau.

Dezember 1989

Eröffnung einer Grenzübergangsstelle am Brandenburger Tor, 22.12.1989

1. Dezember: Sitzung der DDR-Volkskammer: Mit den Stimmen der Fraktion der SED streichen die Abgeordneten die führende Rolle der SED aus der DDR-Verfassung. Die Abgeordneten diskutieren über die Korruption in der SED-Spitze, fragen nach, welche Rolle der Bereich Kommerzielle Koordinierung dabei spielt. Die direkt um Auskunft gebetenen Minister Gerhard Beil (Außenhandel) und Gerhard Schürer (Plankommission) täuschen Unkenntnis über Schalcks Tätigkeit vor; weder Egon Krenz noch Hans Modrow stellen sich vor ihn.

2. Dezember: Beginn einer zweitägigen Gipfelkonferenz von US-Präsident Bush und Staats- und Parteichef Gorbatschow auf Malta. Die Deutschland-Frage wird zum Hauptthema.

3. Dezember: Mitglieder der alten SED-Führung (Harry Tisch, Günter Mittag, Gerhard Müller und Hans Albrecht) werden am Morgen in Untersuchungshaft genommen. – Letzte Tagung des SED-Zentralkomitees: Um sich von der alten Parteiführung abzusetzen und in der Hoffnung, ihre eigene Position retten zu können, erzwingen die neugewählten, nicht mehr von oben eingesetzten Ersten SED-Bezirkssekretäre den Rücktritt von Politbüro und Zentralkomitee – und von Egon Krenz als SED-Generalsekretär. Zu Beginn der Sitzung gibt Hans Modrow den vorzeitigen Abgang eines ZK-Mitglieds bekannt: Alexander Schalck-Golodkowski habe die DDR in der Nacht zuvor mit unbekanntem Ziel verlassen.

Schalck, der nach West-Berlin geflohen ist und sich am 6. Dezember der West-Berliner Justiz stellt, hinterlässt einen Abschiedsbrief, über dessen Inhalt das Zentralkomitee nichts erfährt. Darin teilt Schalck mit, er habe veranlasst, daß von ihm teilweise im Ausland angelegte Guthaben der DDR dem Vorsitzenden des Ministerrates angezeigt würden. Sie seien die "letzte Einsatzreserve bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit des Staates, die nach meiner Auffassung Ende dieses Jahres bzw. Anfang nächsten Jahres eintreten wird (...)."

Um einen sauberen Neubeginn zu ermöglichen, haben mehrere Erste SED-Bezirkssekretäre vor Beginn der ZK-Tagung die Annullierung der gefälschten Kommunalwahl vom Mai 1989 gefordert. Egon Krenz weist diese Forderung auf der ZK-Sitzung zurück.

Für den dramatischen Höhepunkt der letzten Tagung des SED-Zentralkomitees sorgt der 86jährige Alt-Kommunist Bernhard Quandt. Weinend tritt er ans Mikrofon und fordert, mit der "Verbrecherbande des alten Politbüros" abzurechnen und alle standrechtlich zu erschießen, "die unsere Partei in eine solche Schmach gebracht haben, daß die ganze Welt vor einem solchen Skandal steht, den sie noch niemals gesehen hat."

Am Ende der Sitzung wird ein Arbeitsausschuss gebildet, der einen außerordentlichen Parteitag vorbereiten soll. Ihm gehören unter anderem Gregor Gysi, der Dresdner Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer und der frühere Stasi-General und Spionage-Chef Markus Wolf an.

4. Dezember: Gegenüber Außenminister Genscher weist Michail Gorbatschow das Zehn-Punkte-Programm als "Diktat" zurück. - Mit den Besetzungen der Gebäude der MfS-Bezirksverwaltungen in Erfurt, Suhl und Leipzig beginnt das Ende der Staatssicherheit.

5. Dezember: Der Generalstaatsanwalt der DDR leitet gegen Erich Honecker ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen "Vertrauensmissbrauch" und "Untreue zum Nachteil sozialistischen Eigentums im schweren Fall" ein, das am 8. August 1990 wegen des "Verdachts des mehrfachen Mordes" und der "mehrfachen vorsätzlichen Körperverletzung" erweitert wird. Das Ermittlungsverfahren geht im Oktober 1990 auf den Generalstaatsanwalt beim Berliner Kammergericht über. Die SED-Betriebskampfgruppen werden aufgelöst, der Waffenbestand von der Volkspolizei übernommen.

5. Dezember: Nach Verhandlungen mit der Bundesregierung gibt die DDR bekannt, daß Visumzwang und Zwangsumtausch für Westbesucher ab 1. Januar 1990 entfallen sollen.

6. Dezember: Egon Krenz tritt auch als Vorsitzender des Staatsrates und des Nationalen Verteidigungsrates zurück. Eine kurzfristig anberaumte Beratung des Nationalen Verteidigungsrates kann nicht mehr stattfinden; das Gremium, dem die Einsatzleitungen auf Bezirks- und Kreisebene unterstehen und der im Notstandsfall alle exekutiven und legislativen Befugnisse auf sich konzentrieren kann, ist verhandlungsunfähig. Egon Krenz war sein letztes Mitglied mit Staatsfunktion, alle anderen Mitglieder sind von ihren Ämtern zurückgetreten und befinden sich zum Teil in Untersuchungshaft. Mit Generaloberst Fritz Streletz ist dem obersten militärischen Sicherheitsorgan der DDR nur noch der Sekretär erhalten geblieben.

In einem Vorbereitungspapier hat der ursprünglich als Gast eingeladene Leiter des Amtes für Nationale Sicherheit (AfNS), Wolfgang Schwanitz, einige Hinweise zur Lage erarbeiten lassen. Die staatliche Sicherheit, heißt es darin, sei "in bestimmten Bereichen eingeschränkt bzw. nicht mehr gewährleistet. Das gilt insbesondere für die Staatsgrenze der DDR zur BRD, für Teile der bewaffneten Organe und die Kampfgruppen. Die sozialistische Staats- und Rechtsordnung, die staatliche Autorität werden zunehmend untergraben. Staatliche Organe, besonders auf Ebene Bezirke und Kreise, zunehmend handlungsunfähig, zum Teil in Selbstauflösung begriffen. Es mehren sich Tendenzen der Anarchie und des Chaos. (...) Inhalt und Verlauf von Demonstrationen in jüngster Zeit zunehmend aggressiver; es wächst täglich die Gefahr des Umschlagens in nicht mehr kontrollierbare und Gewalthandlungen; Veranstalter beherrschen zum Teil nicht mehr die Lage."

Konstituierende Sitzung des Zentralen Runden Tisches der DDR: Wolfgang Berghofer, SED (li.), Gregor Gysi, SED (mi.) und Wolfgang Schnur, Demokratischer Aufbruch (re.), 7. Dezember 1989

7. Dezember: Die erste Sitzung des zentralen "Runden Tisches" in Ost-Berlin, an der SED, Blockparteien, Massenorganisationen und Opposition teilnehmen, spricht sich für Neuwahlen, eine neue Verfassung und die Auflösung des in "Amt für Nationale Sicherheit (AfNS)" umbenannten Ministeriums für Staatssicherheit aus. – Auf einer Leitungsberatung des AfNS vom gleichen Tage heißt es, die "Zersetzung" und "ernsten Auflösungserscheinungen" der bewaffneten Kräfte setzten sich fort; die Macht sei schon nicht mehr nur geteilt: "Die Konterrevolution formiert sich."

8./9. Dezember: Beginn eines zweitägigen außerordentlichen Parteitages der SED. Ein Antrag auf Selbstauflösung der SED findet keine Mehrheit. Gregor Gysi wird neuer SED-Vorsitzender.

9. Dezember: Auf einem EG-Gipfeltreffen in Straßburg wird das Recht der Deutschen auf staatliche Einheit anerkannt – aber dennoch knistert die Luft: Nicht alle europäischen Nachbarn finden an der Perspektive eines vereinigten Deutschland Gefallen.

11. Dezember: Wiederum zahlreiche Montags-Demonstrationen in der ganzen DDR. Die Forderung nach deutscher Einheit wird im Süden lautstärker erhoben als im Norden.

12. Dezember: Als Folge der vom Staatsrat beschlossenen Amnestie werden die ersten Häftlinge freigelassen. Die Amnestie gilt nicht für Kapitalverbrechen und andere schwere Delikte.

14. Dezember: Die Modrow-Regierung beschließt angesichts der anhaltenden Proteste gegen die Staatssicherheit die Abberufung des Mielke-Nachfolgers Schwanitz aus dem Kabinett und die Auflösung des AfNS.

16. Dezember: Beginn des zweiten Teils des außerordentlichen SED-Parteitages. Die Partei benennt sich in SED-PDS (Partei des demokratischen Sozialismus) um.

19. Dezember: Bundeskanzler Helmut Kohl wird anlässlich eines Treffens mit Ministerpräsident Hans Modrow in Dresden begeistert von der Bevölkerung empfangen. Modrow fordert von Kohl einen "Lastenausgleich" in Höhe von 15 Milliarden DM für die DDR; Kohl lehnt ab, erklärt sich aber zu Verhandlungen über die Ausgestaltung einer "Vertragsgemeinschaft" zwischen beiden deutschen Staaten bereit. - Während einer öffentlichen Kundgebung mit dem Bundeskanzler bekunden Hunderttausende ihren Willen zur deutschen Einheit.

In Ost-Berlin findet zur gleichen Zeit eine Kundgebung der SED-PDS statt. Gregor Gysi spricht sich auf dem Platz der Akademie für die Eigenständigkeit der DDR und gegen die Wiedervereinigung aus.

20. Dezember: Im Weihnachtsgeschäft entwickelt sich der Verkauf von Mauer-Stücken weltweit zum Renner.

21. Dezember: DDR-Verteidigungsminister Theodor Hoffmann hebt in seinem Befehl 101/89 für die DDR-Grenztruppen endgültig und offiziell den Schießbefehl auf. Es heißt darin: "Die Anwendung der Schusswaffe, mit Ausnahme zur Abwehr von Angriffen auf das Leben der Angehörigen der Grenztruppen oder anderer Bürger der DDR, ist zuverlässig auszuschließen."

22. Dezember: Ministerpräsident Hans Modrow und Bundeskanzler Helmut Kohl eröffnen unmittelbar am Brandenburger Tor eine Grenzübergangsstelle.

24. Dezember: Vorgezogener Beginn des visafreien Verkehrs für Bundesbürger und West-Berliner in die DDR und nach Ost-Berlin. - Seit dem Abschluss der Besuchsvereinbarung von 1972 sind 44 Millionen Besuche von West-Berlinern in Ost-Berlin und der DDR registriert worden.

31. Dezember: Erste gemeinsame deutsch-deutsche Sylvesterparty am Brandenburger Tor. Nach dem Bau der Mauer 1961 siedelten bis Ende 1989 insgesamt knapp 500.000 DDR-Bürger mit Genehmigung in die BRD über, 15.287 wurden von der Bundesregierung "freigekauft", 460.000 flüchteten.

Januar 1990

Mauerspechte an der Grenzmauer in der Ebertstraße zwischen Reichstagsgebäude und Brandenburger Tor

1. Januar: Reisefreiheit in beide Richtungen: Seit heute können Bundesbürger die DDR und Ost-Berlin ohne Visum und ohne Zwangsumtausch besuchen. Daneben ist ein deutsch-deutscher Reise-Devisenfonds eingerichtet worden; Reisende aus der DDR können daraus einmal im Jahr bis zu 200 DM beanspruchen (100 DM zum Kurs 1:1 und weitere 100 DM zu einem Umtauschsatz von 1:5).

2. Januar: Die offene Grenze führt schnell zur Auflösung des staatlichen Außenhandels- und Devisenmonopols. Kurz nach dem Jahreswechsel fährt Peter Voigt, ein Erfurter Gemüseeinzelhändler, in Richtung Kassel. Er entdeckt auf der Rückfahrt in Melsungen einen Großhandelshof (EDEKA) und fragt an, ob er Ware in D-Mark zum Verkauf in Erfurt (in D-Mark) beziehen kann. Am 9. Januar erhält Voigt vom Rat des Bezirkes Erfurt eine "Genehmigung zur Annahme fremder Währungen". Daraufhin kreditiert ihm EDEKA die Waren auf drei Wochen. Wenige Tage später werden in der Stadt Südfrüchte gegen D-Mark verkauft.

Der Mauerabriss als Selbsthilfeprojekt - hier am Berliner Reichstagsgebäude, Januar 1990

Der Gemüsehändler Voigt setzt damit sein Recht auf Gewerbefreiheit noch vor dem Beschluss des DDR-Ministerrates vom 25. Januar zur Gewährung der vollen Gewerbefreiheit durch. Genau genommen findet im Erfurter Gemüseladen von Peter Voigt die Währungsunion schon im Januar 1990 statt. Der Umtauschkurs beträgt seit den Weihnachtstagen im freien Handel 1 DM = 7 DDR-Mark. Auch bundesdeutsche Großunternehmen sowie Banken engagieren sich zunehmend in der DDR. In Dresden eröffnet die Dresdner Bank als erstes bundesdeutsches Kreditinstitut eine Bankfiliale. Wenig später folgen Zweigstellen in Leipzig und Ost-Berlin.

3. Januar: Machtlos stehen die Berliner Grenztruppen den Mauerspechten gegenüber, die das Bauwerk mit Hammer und Meißel traktieren. "Motiv zum Grenzdienst fehlt", heißt es auf einer Kommandeurstagung der DDR-Grenzschützer. "Soldat sagt, was soll ich noch an der Grenze." Soldaten verkauften während des Dienstes Teile ihrer Uniform, Offiziere nähmen Geschenke an und wären betrunken.

Im Berliner Stadtbezirk Treptow wird das sowjetische Ehrenmal von Unbekannten mit rechtsradikalen und antisowjetischen Parolen beschmiert. Die SED-PDS nimmt dies zum Anlass, mit einer Groß-Demonstration gegen "Neofaschismus und Antisowjetismus" für den Erhalt von MfS- bzw. AfNS-Strukturen als "Verfassungsschutz" oder "Nachrichtendienst" einzutreten. – Wirtschaftsministerin Christa Luft, zugleich stellvertretende Ministerratsvorsitzende, unterrichtet die Teilnehmer des Runden Tisches über die wirtschaftliche Lage der DDR, verschweigt jedoch das Ausmaß des sich anbahnenden Desasters. Die Regierung Modrow wolle zwar auch andere Eigentumsformen fördern, erklärt Luft, aber grundsätzlich am "Volkseigentum an den wichtigsten Produktionsmitteln" festhalten.

5. Januar: Bürgerkomitees halten weiterhin ehemalige Bezirksverwaltungen des Ministeriums für Staatssicherheit besetzt. In Gera erzwingt eine Gruppe von Bürgerrechtlern den Zutritt zur dortigen MfS-Bezirksverwaltung und übernimmt die Kontrolle der Akten und Waffenkammern.

Wie das Bundesministerium des Innern bekannt gibt, sind im Jahr 1989 insgesamt 343.854 DDR-Bewohner in die Bundesrepublik übergesiedelt. Zusätzlich wurden 377.055 deutschstämmige Aussiedler vor allem aus Polen, der Sowjetunion und Rumänien aufgenommen. Schließlich erreichte die Zahl der Asylbewerber mit 121.318 eine Rekordhöhe.

8. Januar: In Leipzig findet die erste Montagsdemonstration des Jahres statt. Ein Meer von schwarz-rot-goldenen Fahnen beherrscht das Bild. Die Einheit Deutschlands ist zusammen mit der Parole "Nieder mit der SED" zur alles beherrschenden Forderung geworden. Eine Woche später, am 15. Januar, demonstrieren erneut 150.000 Menschen für ein vereinigtes Deutschland. Indessen brechen in der Stadt wie überall im Land die kommunalen Strukturen zusammen. Der Oberbürgermeister wird Ende Januar wegen Wahlbetrug-Verdachts in Untersuchungshaft genommen, die Stadtverordnetenversammlung löst sich am 26. Januar auf; ein Runder Tisch lenkt die Geschicke der Stadt mit.

9. Januar: In Sofia beschließt eine RGW-Tagung den Übergang der Mitgliedsländer zum Handel auf der Grundlage von frei konvertierbarer Währung. Damit ist das Ende der osteuropäischen, planwirtschaftlichen Wirtschaftsgemeinschaft eingeleitet.

10. Januar: Die DDR-Außenhandelsfirma Limex-Bau Export-Import erhält das Verkaufsmonopol für mehrere Dutzend Mauersegmente, die an den neu eröffneten Grenzübergängen demontiert wurden. Innerhalb kürzester Zeit läuft das Geschäft weltweit auf Hochtouren. Es werden Verkaufserlöse bis zu 500.000 DM pro Segment erzielt, die dem DDR-Gesundheitswesen und der Denkmalpflege zugute kommen sollen.

11. Januar: In einer Regierungserklärung tut Ministerratsvorsitzender Hans Modrow kund, dass "eine Vereinigung von DDR und BRD nicht auf der Tagesordnung" stehe. Er warnt die Opposition vor einer Demontage seiner Regierung und begründet mit dem Hinweis auf neonazistische Aktivitäten die Notwendigkeit eines Nachrichtendienstes und Verfassungsschutzes. 20.000 Menschen demonstrieren noch am gleichen Abend gegen diesen Plan.

15. Januar: Ministerpräsident Hans Modrow bietet den am "Runden Tisch" vertretenen Gruppen der Bürgerbewegung den Eintritt in seine Koalitionsregierung an. Der stellvertretende Leiter des Ministerrat-Sekretariats, Manfred Sauer, informiert den "Runden Tisch" über den Stand der Auflösung des MfS, jetzt Amt für nationale Sicherheit". Das MfS habe 85.000 hauptamtliche Mitarbeiter und 109.500 "inoffizielle Mitarbeiter" gehabt. Die Sitzung des "Runden Tisches" wird am Abend abgebrochen, da Tausende von Demonstranten in die MfS-Zentrale in Berlin-Lichtenberg eindringen und das Gebäude besetzen. Hans Modrow und Konrad Weiß rufen die Besetzer zu Gewaltlosigkeit und Besonnenheit auf. – Zur gleichen Zeit folgen in zahlreichen Städten Hunderttausende einem Aufruf des Neuen Forum und demonstrieren gegen die Versuche der SED-PDS, die alten Machtstrukturen zu bewahren. – Am 18. Januar befasst sich der Runde Tisch mit der Besetzung der Stasi-Zentrale.

Vor dem Hintergrund dieser innenpolitischen Entwicklung in der DDR entschließt sich Bundeskanzler Helmut Kohl, Verhandlungen über eine Vertragsgemeinschaft mit der DDR erst mit einer frei gewählten DDR-Regierung aufzunehmen. Gespräche mit der Modrow-Regierung sollen nur symbolisch geführt werden, um die Übersiedlungswelle nicht durch eine förmliche Absage zusätzlich zu verstärken.

19. Januar: Die TAZ (Ausgabe Bremen) teilt unter der Überschrift "Abgerüstete Wachhunde werden versteigert" mit, dass der Deutsche Tierschutzbund der Bundesrepublik beabsichtigt, rund 2.500 früher an der innerdeutschen Grenze eingesetzte Wachhunde in den nächsten Tagen in die Bundesrepublik "überzusiedeln". Die Übersiedlungsaktion der Vierbeiner sei zustande gekommen, so der Tierschutzbund, da die überwiegende Zahl der Wachhunde in der DDR nicht in private Hände vermittelt werden konnten. Es sei schließlich gelungen, die zuständigen DDR-Behörden davon zu überzeugen, dass die ehemaligen Wachhunde in der Bundsrepublik von verantwortungsbewussten Tierfreunden“ übernommen werden. Die Schäferhunde, Rottweiler und Mischlinge sind kerngesund, durchschnittlich vier Jahre alt und tiermedizinisch ausgezeichnet versorgt. Es wird betont, dass die Hunde als Wachhunde gedient haben und nicht "auf den Mann" abgerichtet worden sind.

20./21. Januar: Der SED-PDS-Parteivorstand lehnt die von Teilen der Parteibasis erhobene Forderung nach einer Selbstauflösung der Partei ab. Daraufhin erklärt der stellvertretende Parteivorsitzende Wolfgang Berghofer seinen Parteiaustritt; die SED-PDS, die bereits die Hälfte ihrer einst 2,3 Mio. Mitglieder verloren hat, schrumpft in der Folge weiter. Die Bezeichnung "SED" im Parteinamen soll gestrichen und der Händedruck als Parteisymbol abgeschafft werden. Zudem werden 13 Mitglieder des letzten SED-Politbüros aus der PDS ausgeschlossen.

21. Januar: Mit Koffern in der Hand marschieren Zehntausende Bewohner des Eichsfelds in einem Probelauf ("Heute kommen wir noch einmal wieder") über den thüringisch-niedersächsischen Grenzübergang Worbis - Duderstadt für einige Stunden in den Westen, um zu zeigen, was passiert, wenn die SED an der Macht bleibt ("Wenn die SED-Regierung bleibt, geben wir die Heimat auf").

25. Januar: Ministerratsvorsitzender Hans Modrow und Bundeskanzleramtsminister Rudolf Seiters bereiten in Ost-Berlin den für den 13./14. Februar geplanten Besuch Modrows in Bonn vor. Dem DDR-Bericht über dieses Gespräch zufolge verdeutlicht Modrow sein Interesse an einem schnellen Abschluss der Verhandlungen über eine Vertragsgemeinschaft mit der Bundesrepublik und an wirtschaftlicher Hilfe und beklagt, dass die Bundesregierung davon abgegangen sei. Er weist Seiters auf den "Ernst der Lage in der DDR" hin; es bestehe die Gefahr, "dass die Dinge außer Kontrolle" gerieten. Seiters erwidert offen, dass an einen Vertrag erst nach freien Wahlen in der DDR zu denken sei; vorherige Gespräche darüber setzten das Einverständnis der DDR-Opposition voraus. Die Bundesregierung erwarte weitere Erleichterungen im innerdeutschen Reiseverkehr wie die Aufhebung der Passpflicht, den Wegfall der Zählkarten im Transit, von Zollerklärungen sowie Kontrollen und Befragungen.

26. Januar: In Moskau findet unter Leitung von Michail Gorbatschow eine mehrstündige Experten-Krisensitzung zur Lage in der DDR statt. Es herrscht Einigkeit, dass die DDR nicht zu halten sein wird. Die Idee einer Sechser-Konferenz zu Deutschland ("Vier-plus-Zwei") wird ebenso befürwortet wie die Vorbereitung des Abzugs der sowjetischen Streitkräfte aus der DDR.

Im "Wall Street Journal" äußert die britische Premierministerin Margaret Thatcher, dass eine zu schnelle Herstellung der deutschen Einheit nicht nur die Position von Gorbatschow gefährden, sondern auch das wirtschaftliche Gleichgewicht in der Europäischen Gemeinschaft bedrohen könne. Bundeskanzler Kohl empfindet das Interview als "ungewöhnlich unfreundlich".

27./28. Januar: In einer programmatischen Erklärung versteht das Neue Forum auf einem Kongress in Berlin die Zweistaatlichkeit als seine politische Chance: "Die Zweistaatlichkeit Deutschlands ist für uns heute die Chance demokratischer Selbstverwirklichung und eines eigenen Beitrages zur demokratischen Entwicklung in Deutschland und Europa."

28. Januar: In Ost-Berlin fällt am Abend die Entscheidung zur Bildung einer "Regierung der nationalen Verantwortung", in der alle am Runden Tisch vertretenen oppositionellen Gruppierungen mit einem Minister ohne Geschäftsbereich vertreten sind. Der Termin der Volkskammer-Wahl wird einvernehmlich von Mai auf den 18. März 1990 vorgezogen.

29. Januar: Ministerratsvorsitzender Hans Modrow berichtet in der Volkskammer, dass sich die wirtschaftliche Lage der DDR besorgniserregend verschlechtere. Streiks breiteten sich aus, eine Reihe örtlicher Volksvertretungen habe sich aufgelöst oder sei nicht mehr beschlussfähig, im gesamten Staatsapparat greife Unsicherheit um sich, die Rechtsordnung werde zunehmend in Frage gestellt.

Dem Runden Tisch wird am 29. Januar zudem ein Umweltbericht der Modrow-Regierung vorgelegt, in dem die ökologische Situation als äußerst kritisch eingeschätzt wird. Im Raum Cottbus und in der Region Leipzig-Halle liege die Belastung durch Schwefeldioxid-, Staub- und Stickoxidemissionen um das Zehn- bis Zwanzigfache höher als in anderen Regionen der DDR. Als besonders prekär wird die Sicherheit der DDR-Kernkraftwerke geschildert. Schon am 22. Januar hatte das Hamburger Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" eine Beinahe-Katastrophe im Kernkraftwerk Nord bei Greifswald gemeldet.

29. Januar: Im Bundesfinanzministerium, unter der Verantwortung von Staatssekretär Horst Köhler, legt Ministerialrat Thilo Sarrazin einen Vermerk mit der Überschrift "Gedanken zu einer unverzüglichen Einbeziehung der DDR in den D-Mark-Währungsraum" vor. Staatssekretär Köhler ist nach geheim gehaltenen Gesprächen mit DDR-Finanzexperten bereits seit Mitte Dezember 1989 davon überzeugt, dass die DDR finanziell und wirtschaftlich am Ende ist. Von der Öffentlichkeit unbemerkt wird seit dieser Zeit das Für und Wider einer Währungsunion im Finanzministerium erörtert. Köhler und Sarrazin verwerfen das "Stufenkonzept" einer allmählichen Währungsangleichung über mehrere Jahre hinweg, weil es den Übersiedlerstrom nicht stoppen könne. Sie plädieren - im Wissen um Risiken wie die Schockwirkung auf die DDR-Wirtschaft und eine hohe finanzielle Belastung der Bundesrepublik - für eine schnelle Einführung der D-Mark in der DDR, die jedoch von zügigen wirtschaftlichen Reformen begleitet werden müsse.

30./31. Januar: Ministerratsvorsitzender Hans Modrow informiert Michail Gorbatschow in Moskau über die Lage in der DDR und trägt sein Konzept "Deutschland - einig Vaterland" vor, das bei militärischer Neutralität eine allmähliche Annäherung beider deutschen Staaten vorsieht. Vor der Presse erklärt Gorbatschow, dass "die Vereinigung der Deutschen niemals und von niemandem prinzipiell in Zweifel gezogen wird". Für Bundeskanzler Helmut Kohl ist diese Reaktion Gorbatschows "ermutigend". Im Rückblick äußert der sowjetische Partei- und Staatschef, er habe durch diese Begegnung mit Modrow Klarheit darüber gewonnen, "dass meine Hauptpartner bei der praktischen Lösung der akuten Probleme [...] Kohl und Bush sein würden." Wem solle sich die Bundesrepublik überhaupt noch annähern, habe er sich damals gefragt, wo ihm doch Modrow vorher anhand von Fakten überzeugend den unaufhaltsamen Zerfall der DDR geschildert habe.

Ende Januar: Die Ausreisewelle aus der DDR hält im Januar unvermindert an: Mehr als 70.000 Menschen haben die DDR in diesem Monat in Richtung Bundesrepublik verlassen. Daneben besuchten in den ersten vier Wochen des Jahres rund zehn Millionen DDR-Bürger den Westen und mehr als acht Millionen Bundesbürger den Osten.

Februar 1990

In der Nacht zum 20. Februar beginnen DDR-Grenztruppen mit der Demontage eines zwei Kilometer langen Teilstücks der Mauer zwischen Brandenburger Tor und Checkpoint Charlie

1. Februar: Zurück von seinem Moskau-Besuch, gibt Hans Modrow in Ost-Berlin eine Pressekonferenz, auf der er unter der Überschrift "Deutschland, einig Vaterland" überraschend einen Vierstufenplan für die deutsche Einheit vorstellt. Danach soll die Einheit über eine Vertragsgemeinschaft mit konföderativen Elementen, die Bildung einer Konföderation von DDR und Bundesrepublik mit gemeinsamen Organen, 
die Übertragung von Souveränitätsrechten beider Staaten an Machtorgane der Konföderation und schließlich die Bildung eines einheitlichen deutschen Staates in Form einer Deutschen Föderation oder eines Deutschen Bundes durch Wahlen erfolgen. Als Reaktion auf Modrow unterbreitet Finanzminister Theo Waigel am 2. Februar den Vorschlag, die D-Mark als offizielles Zahlungsmittel direkt in der DDR einzuführen, weist dabei jedoch auf die Risiken und "unumgänglichen Anpassungsprobleme" hin.

5. Februar: Die Ende Januar vereinbarte Bildung einer "Regierung der nationalen Verantwortung" nimmt Gestalt an. Es werden die von den Oppositionsgruppen am Runden Tisch benannten acht Kandidaten von der Volkskammer zu Ministern ohne Geschäftsbereich gewählt.

7. Februar: Das Bundeskabinett beschließt, der DDR sofortige Verhandlungen über eine Wirtschafts- und Währungsunion anzubieten. Die steigenden Übersiedlerzahlen und die desolate wirtschaftliche Lage in der DDR machten das zwingend erforderlich. Horst Teltschik bringt die Überlegungen für die Entscheidung später so auf den Punkt: "Wenn wir nicht wollen, dass sie zur D-Mark kommen, muss die D-Mark zu den Menschen gehen." Zur Koordinierung und praktischen Umsetzung wird ein Kabinettsausschuss "Deutsche Einheit" unter Vorsitz des Kanzlers gebildet.

8. Februar: Wochenlang hat die Modrow-Regierung versucht, Strukturen des Staatssicherheitsdienstes zu erhalten. Als Gegenstrategie sind Bürgerkomitees im ganzen Lande "Sicherheitspartnerschaften" mit der Staatsanwaltschaft und der Polizei eingegangen, um die MfS-Gebäude zu kontrollieren, Aktenvernichtungen möglichst zu verhindern und Selbstjustiz vorzubeugen. Zur besseren Koordinierung dieser Aktivitäten wird das "Staatliche Komitee zur Auflösung des ehemaligen MfS/AfNS" gebildet.

Erste Dokumentationen, die die flächendeckende Bespitzelung der Bevölkerung durch das MfS aufdecken, werden vorbereitet.

In Potsdam erhält die Bevölkerung an mehreren Februar-Wochenenden Gelegenheit, sich ein eigenes Bild von den menschenrechtswidrigen Haftbedingungen in der MfS-Untersuchungshaftanstalt ("Lindenhotel") in der Otto-Nuschke-Straße (heute Lindenstraße) zu machen.Ehemalige Häftlinge berichten erschütterten Besuchern der Haftanstalt, welcher Pein, Ohnmacht und Rechtlosigkeit sie in diesem Gefängnis ausgesetzt waren.

9. Februar: Die Bundesregierung stellt der Sowjetunion eine Nahrungsmittelhilfe bis zu einer Höhe von 220 Mio. DM zur Verfügung. Zur Überwindung ernster Versorgungsengpässe hatte der sowjetische Botschafter in der Bundesrepublik, Julij Kwizinskij, Anfang Januar Lieferungsmöglichkeiten von Fleisch, Fetten und Pflanzenölen angefragt.

10. Februar: Bundeskanzler Helmut Kohl erhält in Moskau die prinzipielle Zustimmung Michail Gorbatschows für die Herstellung der deutschen Einheit; die Frage der Bündniszugehörigkeit eines vereinten Deutschlands bleibt ausgeklammert. Vor der Presse in Moskau gibt der Bundeskanzler bekannt: "Ich habe heute Abend an alle Deutschen eine einzige Botschaft zu übermitteln. Generalsekretär Gorbatschow und ich stimmen darin überein, dass es das alleinige Recht des deutschen Volkes ist, die Entscheidung zu treffen, ob es in einem Staat zusammenleben will."

12. Februar: Die Liberalen schließen sich als letztes der neu entstandenen Parteilager zu einem Wahlbündnis ("Bund Freier Demokraten") für die Volkskammerwahlen zusammen. Die CDU hat diesen Schritt gemeinsam mit der Deutschen Sozialen Union (DSU) und dem Demokratischen Aufbruch (DA) bereits am 5. Februar ("Allianz für Deutschland") vollzogen. Am 7. Februar haben das Neue Forum, Demokratie Jetzt und die Initiative für Frieden und Menschenrechte die Wahlplattform "Bündnis 90" gegründet. Die SED-PDS hat am 4. Februar offiziell die Bezeichnung "SED" abgelegt. Die Begründung lautet: "Unsere Partei ist nicht mehr die SED. Unser Bruch mit der Vergangenheit, unsere demokratischen Initiativen und Ziele haben uns zu einer neuen Partei gemacht." Der Runde Tisch beschließt in Ost-Berlin "Positionen für die Verhandlungen in Bonn". Von der Bundesregierung soll ein sofortiger "Solidarbeitrag" in Höhe von zehn bis 15 Milliarden DM gefordert werden. Die Modrow-Regierung soll nicht über eine Währungsunion verhandeln, "weil jede überstürzte Regelung zum Schaden beider deutschen Staaten wäre".

13. Februar: Am Rande der "Open Skies"-Konferenz von 23 NATO- und Ostblockstaaten in Ottawa (Kanada) vereinbaren die Vier Siegermächte und die beiden deutschen Staaten Treffen ("Zwei-plus-Vier-Verhandlungen"), "um die äußeren Aspekte der Herstellung der deutschen Einheit, einschließlich der Fragen der Sicherheit der Nachbarstaaten, zu besprechen", wie es in einem Kommuniqué heißt.

13./14. Februar: In Begleitung von nicht weniger als 17 Ministern trifft Ministerratsvorsitzender Hans Modrow zu Gesprächen mit der Bundesregierung in Bonn ein. Modrow berichtet Bundeskanzler Kohl über die dramatische wirtschaftliche Lage der DDR, die vor der Zahlungsunfähigkeit stehe. Er bittet die Bundesregierung um einen sofortigen Solidarbeitrag in Höhe von 10 bis 15 Milliarden DM. Kanzlerberater Horst Teltschik zufolge ist Kohl jedoch angesichts des drastischen Verfalls der staatlichen Autorität auf allen Ebenen, des drohenden wirtschaftlichen Kollapses und noch immer hoher Übersiedlerzahlen nicht daran interessiert, mit einem hilflosen Modrow vor der Volkskammer-Wahl Verabredungen zu treffen. Die Bundesregierung will die Bildung einer demokratisch legitimierten DDR-Regierung nach der Volkskammerwahl abwarten.

15. Februar: Bundeskanzler Helmut Kohl gibt im Bundestag eine Regierungserklärung ab: "Noch nie, seit unser Land geteilt, noch nie, seit unser Grundgesetz geschrieben wurde, sind wir unserem Ziel, der Einheit aller Deutschen in Freiheit, so nahe gekommen wie heute." Kohl will die sich nun bietende Chance mit Umsicht und Entschlossenheit wahrnehmen. Auf Beschluss des DDR-Ministerrates wird der Fahneneid der Grenztruppen durch ein Gelöbnis ersetzt. Es lautet: "Ich gelobe: Der Deutschen Demokratischen Republik allzeit treu zu dienen und getreu dem Verfassungsauftrag ihre Staatsgrenze zuverlässig zu schützen."

19. Februar: Der Runde Tisch der DDR lehnt einen Anschluss der DDR an die Bundesrepublik nach Art. 23 GG ab und fordert einen entmilitarisierten Status für ein geeintes Deutschland.

19./20. Februar: Unter den Augen der Weltöffentlichkeit beginnt am Abend der Abbau der Berliner Mauer im Bereich des Potsdamer Platzes im Zentrum Berlins. An ihre Stelle tritt ein dezenter, etwa zwei Meter hoher grüner Maschendrahtzaun.

20./21. Februar: Die Volkskammer verabschiedet ein Wahlgesetz für die Volkskammerwahl am 18. März. Die Abgeordneten sollen "in freier, allgemeiner, direkter und geheimer Wahl" gewählt werden. Es gibt 15 Wahlkreise, die sich mit den Bezirken der DDR decken. Es wird nach dem Verhältniswahlrecht gewählt und es sind keine Sperrklauseln festgelegt.

22. - 25. Februar: Auf einem Parteitag in Leipzig benennt sich die SDP in SPD um. Ibrahim Böhme wird zum Parteivorsitzenden, Willy Brandt zum Ehrenvorsitzenden gewählt. Die deutsche Einheit, so heißt es in dem Wahlprogramm, solle in drei Stufen (Sozialunion, Währungsunion, Wirtschaftsunion) hergestellt; und der Vereinigungsprozess nach Art. 146 GG mit einer Volksabstimmung über eine neue Verfassung abgeschlossen werden. SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine warnt vor einer zu schnellen Vereinigung.

24. Februar: Bei einem Gespräch zwischen Bundeskanzler Helmut Kohl und US-Präsident George Bush in Camp David besteht in Bezug auf den "Zwei-plus-Vier-Prozeß" Einigkeit, dass vor den Verhandlungen mit der Sowjetunion zunächst ein vertraulicher Konsens zwischen der Bundesrepublik und den drei Westmächten gefunden werden soll. In Ost-Berlin findet der 1. Parteitag der PDS statt. Unter der Voraussetzung einer Gleichberechtigung der DDR und der Erhaltung ihrer sozialen Standards spricht er sich für die Einheit Deutschlands aus. Der Parteivorsitzende Gregor Gysi warnt jedoch vor einer schnellen und überstürzten Vereinigung.

26. Februar: Nahmen Anfang des Monats noch zwischen 70.000 und 100.000 Menschen an den Montagsdemonstrationen teil, so sind es am Ende des Monats nur noch rund 10.000. Das Interesse gilt mehr und mehr den Wahlkampfveranstaltungen.

26. Februar: Im Ministerium für Nationale Verteidigung der DDR wird der zeitliche Aufwand für den Abbau sämtlicher Grenzsicherungsanlagen auf rund 1,2 Millionen Mann Arbeitstage geschätzt. 1.500 Angehörige der Grenztruppen wären damit sechs Jahre lang beschäftigt.

28. Februar: An diesem Tag, so Gorbatschow später, sei ihm nach einem Telefonat mit US-Präsident Bush klar geworden, daß Bush und Kohl die Zugehörigkeit des vereinten Deutschland zur Nato bereits fest vereinbart hätten. Bis dahin, so der sowjetische Partei- und Staatschef, habe er gehofft, sich bei seiner Ablehnung der NATO-Zugehörigkeit auf die Position Großbritanniens und Frankreichs und anderer europäischer Länder stützen zu können. Aber außer bei Modrow habe er bei niemandem Unterstützung gefunden.

Im Februar haben nach offiziellen Angaben 64.000 DDR-Bürger das Land verlassen. Insgesamt sind seit dem Fall der Mauer etwa 250.000 Menschen aus der DDR in die Bundesrepublik übergesiedelt. Zudem gibt es einen ungebrochenen Massenansturm von Pendlern und Besuchern auf den Westen. Am stärksten bekommt das West-Berlin zu spüren. Hunderttausende

Ostdeutsche und Ost-Berliner überfluten täglich die Stadt, füllen Verkehrsmittel und Geschäfte, Kinos – und nicht zuletzt die Bibliotheken. Die West-Berliner Staatsbibliothek ist dem Benutzerandrang kaum noch gewachsen.

März 1990

Stimmzettel für den Wahlkreis1 (Berlin) zur Wahl der DDR-Volkskammer am 18. März 1990

2. März: Der DDR-Ministerrat beschließt, die Grenztruppen bis zum Jahresende in einen zivilen Grenzschutz umzuwandeln und diesen in das DDR-Innenministerium einzugliedern. Er übereignet zudem der amerikanischen Bildhauerin Edwina Sandys, einer Enkelin Winston Churchills, acht Segmente der Berliner Mauer. Zur Erinnerung an die berühmte Rede ihres Großvaters im Jahr 1946 in Fulton/USA, in der Churchill die Entstehung eines "Eisernen Vorhanges" zwischen den Weltmächten prognostizierte, möchte Edwina Sandys in Fulton eine Monumentalskulptur aus den Mauerteilen schaffen.

Der Chef des Bundeskanzleramtes und die Chefs der Staats- und Senatskanzleien der Länder beraten, inwieweit die Länder an den bevorstehenden Verhandlungen mit der DDR beteiligt werden sollen. Einige Bundesländer befürchten, dass durch die Einheits-Verhandlungen das föderale System der Bundesrepublik untergraben wird. Der Bundeskanzler ist in Hochstimmung. In Chemnitz strömen 200.000 Menschen zu seiner Wahlkampfrede. Bis zum 15. März erreicht Helmut Kohl mit seinen Wahlkampfauftritten mehr als eine Million DDR-Bürger.

Auch die führenden Repräsentanten aller anderen West-Parteien treten in der DDR auf; Willy Brandt, der Ehrenvorsitzende der DDR-SPD, mobilisiert ebenfalls Zehntausende. Neben dem Streit, ob die Vereinigung nach Artikel 23 oder 146 des Grundgesetzes herbeigeführt werden soll, bestimmen Angriffe auf die SED-Nachfolgepartei PDS den Wahlkampf.

5-6. März: Eine DDR-Regierungsdelegation reist zu Gesprächen mit Michail Gorbatschow nach Moskau. Wie kurze Zeit später bekannt wird, fordert Ministerrats-Vorsitzender Hans Modrow den KPdSU-Generalsekretär auf, dass sich die Sowjetunion bei den Verhandlungen über die deutsche Einheit auch in die inneren Aspekte einmischen und für die Sicherung der DDR-Eigentumsverhältnisse eintreten solle. In Bonn verständigen sich die Koalitionsparteien darauf, die Einheit nach Artikel 23 des Grundgesetzes zu vollziehen. Zudem wird der Entwurf eines Entschließungsantrages zur Oder-Neiße-Grenze und zur Frage der Reparationen angenommen. Darin ist vorgesehen, dass nach den Wahlen in der DDR beide deutschen Regierungen eine gleichlautende Erklärung zur Unverletzlichkeit der Grenzen gegenüber Polen abgeben. Ein endgültiger Vertrag mit der polnischen Regierung soll erst durch eine gesamtdeutsche Regierung abgeschlossen werden.

Wahlplakat Allianz

7. März: Auf der letzten Tagung der Volkskammer vor den Wahlen werden eine Reihe von Gesetzen verabschiedet. Dazu gehören grundlegende Wirtschaftsgesetze (u. a. Bildung der Treuhand, Gesetz über die Gründung privater Unternehmen), ein Versammlungsgesetz und die Billigung der auf der 15. Sitzung des Runden Tisches (5. März) verabschiedete "Sozialcharta". Durch sie soll die Währungs- und Wirtschaftsunion um einen Sozialverbund erweitert und damit das Recht auf Arbeit, Wohnen und die Gleichstellung von Mann und Frau festgeschrieben werden.

12. März: In Ost-Berlin kommt der Runde Tisch zu seiner letzten Sitzung zusammen und verabschiedet eine Abschlusserklärung.

Einer Infratest-Umfrage zufolge wird die SPD die Volkskammer-Wahl überlegen gewinnen. Danach soll die SPD 44% der Stimmen erhalten, die CDU 20%, die DSU 5%, der Demokratische Aufbruch 1%, die PDS 10%, die FDP 2%, die LDP 2%, die Grüne Partei 1%, die DBD 3% und das Neue Forum 1%.

14. März: Die "Allianz für Deutschland" kommt kurz vor der Wahl in Turbulenzen. Der Vorsitzende und Spitzenkandidat des Demokratischen Aufbruchs, Wolfgang Schnur, wird als Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit enttarnt. Er wird aus der Partei ausgeschlossen; sein Nachfolger wird Rainer Eppelmann.

Erst nach der Volkskammer-Wahl, am 22. März, wird bekannt, dass auch der Vorsitzende der DDR-SPD, Ibrahim Böhme, als Inoffizieller Mitarbeiter für die Staatssicherheit tätig war.
In Bonn beginnen auf Beamtenebene die Gespräche für die Zwei-plus-Vier-Verhandlungen über die äußeren Aspekte der Vereinigung Deutschlands.

Das Ergebnis der Volkskammerwahl vom 18. März 1990

18. März: Entgegen aller Vorhersagen gewinnt die "Allianz für Deutschland" mit 47,8% der Stimmen die Volkskammer-Wahl. Mehr als 12,2 Millionen Menschen konnten unter 24 Parteien, politischen Vereinigungen und Listenvereinigungen wählen. Die Wahlbeteiligung liegt bei 93,39 Prozent. Die SPD erhält 21,8 % und die PDS 16,3 %. Die Wahlplattform der Bürgerrechtsbewegungen "Bündnis 90" gehört mit nur 2,9 % der Stimmen ebenfalls zu den Wahlverlierern.

Der DDR-Schriftsteller Stefan Heym kommentiert das Wahlergebnis enttäuscht mit den Worten: "Es wird keine DDR mehr geben. Sie wird nichts sein als eine Fußnote der Weltgeschichte."

19. März: Die Presse der Bundesrepublik feiert den Wahlsieg in der DDR als einen Sieg des Kanzlers Helmut Kohl. Rudolf Augstein, Herausgeber des Hamburger Nachrichtenmagazins "Der Spiegel", bescheinigt dem Kanzler: "Er bewies aufs Neue seinen Machtinstinkt, er vertrat die richtige Sache." Nicht lange zuvor hatte Augstein die Regierungsmannschaft um Kohl noch als "die Tölpel von Bonn" bezeichnet.

20. März: Mit dem Wahlausgang geht die Zahl der DDR-Übersiedler in die Bundesrepublik schlagartig zurück. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble legt dem Bundeskabinett einen Gesetzentwurf vor, der das Aufnahmeverfahren in neuer Weise regelt. Danach sollen zum 1.7.1990 das bislang gültige Aufnahmeverfahren und der damit verbundene Leistungskatalog eingestellt werden. Der 1. Juli ist in Regierungskreisen bereits als Zeitpunkt für die Einführung der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion im Gespräch.

22. März: Die konservativen Allianzparteien und die Liberalen Parteien verständigen sich auf die Bildung einer Koalitionsregierung. Am 27. März signalisiert auch die SPD ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit.

31. März: Am Monatsende wird offenbar, wie stark der Übersiedlerstrom nach der Volkskammer-Wahl zurückgegangen ist: Im Monat März ließen sich noch 46.000 DDR-Bürger in der Bundesrepublik als Übersiedler registrieren.

April 1990

Grenzübertritt zwischen Ost- und West-Berlin: Mauerspechte eröffnen an vielen Stellen Übergangsmöglichkeiten ohne Passkontrolle

4. April: Im Bundeskabinett werden die Empfehlungen des Zentralbankrates der Deutschen Bundesbank vom 30. März zur beabsichtigten Währungsunion mit der DDR erörtert. Der Bundeskanzler drängt darauf, dass die Verhandlungen über die Währungsunion mit der neuen DDR-Regierung noch vor den geplanten Kommunalwahlen am 6. Mai abgeschlossen werden.

 Als Termin nennt er den 1. Mai. Es herrscht Einigkeit darüber, dass die wirklich großen Probleme in der DDR erst nach der Einführung der Währungsunion beginnen. Vor allem wird aufgrund der im Verhältnis zur Bundesrepublik geringen Arbeitsproduktivität in der DDR mit einem raschen Anstieg der Arbeitslosenzahl gerechnet.

Auf einer Beraterrunde im Kanzleramt schlägt der Sowjetexperte Boris Meissner vor, der Sowjetunion einen umfassenden bilateralen Vertrag über Gewaltverzicht und Zusammenarbeit anzubieten. Deutschland solle damit ein Signal für die zentrale Bedeutung der beiderseitigen Beziehungen setzen. Kanzlerberater Horst Teltschik ist von dieser Idee begeistert. Als Bundeskanzler Helmut Kohl dem sowjetischen Botschafter in Bonn, Julij Kwizinskij, knapp drei Wochen später die Absicht eines umfassenden bilateralen Vertrages zwischen der Bundesrepublik und der UdSSR unterbreitet, reagiert Kwizinskij Teltschik zufolge "fast euphorisch".

5. April: In Ost-Berlin konstituiert sich die erste frei gewählte Volkskammer. Zur Präsidentin wird Sabine Bergmann-Pohl (CDU) gewählt. Das Parlament erteilt Lothar de Maizière (CDU) als Spitzenkandidaten der stärksten Fraktion den Auftrag zur Regierungsbildung.

In Bonn bespricht der Bundeskanzler mit Experten des Finanzministeriums und der Bundesbank die Leitlinien über den Entwurf eines Staatsvertrages mit der DDR. Es geht maßgeblich um das Umtauschverfahren der Ost-Mark in D-Mark, die Umstellungsmodalitäten, die künftigen Befugnisse der Bundesbank und um klare gesetzliche Regelungen für die neue Wirtschaftsordnung der DDR. Am darauf folgenden Tag finden erste Ressortbesprechungen zur Vorbereitung eines "Gesetzes über die Einführung von Bundesrecht in der DDR (1. Überleitungsgesetz)" statt.

Der von der Bundesbank vorgeschlagene Umtauschkurs von 2:1 für Einkommen und Renten sorgt seit Tagen für Unruhe in der DDR-Bevölkerung. Etwa 100.000 Menschen gehen dagegen in Ost-Berlin, Dresden und Leipzig auf die Straße. Parolen wie "Eins zu eins – oder wir werden nicht eins" begleiten die Demonstrationen. Vielfach wird der Bundesregierung "Wortbruch" vorgeworfen; befürchtet wird auch der Verlust der "sozialen Errungenschaften" der DDR.

11. April: Am Abend informiert Lothar de Maizière den Bundeskanzler telefonisch über den Stand der Koalitionsverhandlungen und der Regierungsbildung in der DDR. Das Innenministerium geht an die DSU, das Finanz- und Arbeitsministerium übernimmt die SPD, die Liberalen kümmern sich um die Neubildung der Länder und der Demokratische Aufbruch ist für die Nationale Volksarmee zuständig. Die "Zwei-plus-Vier-Gespräche" werden von de Maizière zur Chefsache erklärt. Bereits in der Nacht vom 9./10. April hat de Maizière per Handschlag Staatssekretäre ernannt, die unverzüglich mit der Vorbereitung der Amtseinführungen der verschiedenen Minister beginnen sollen. Staatssekretär im Ministerium für Abrüstung und Verteidigung (unter Minister Rainer Eppelmann) wird der Wehrdienstverweigerer Werner Ablaß (Demokratischer Aufbruch). Als Ablaß den CDU-Chef de Maizière darauf hinweist, dass er Wehrdienstverweigerer sei, meint de Maizière lakonisch, dass er damit gute Voraussetzungen mitbringe, um die NVA zu reformieren. Zur NVA gehören im April 1990 noch 128.000 Soldaten einschließlich der Grenztruppen sowie 56.000 Zivilbeschäftigte.

12. April: In der Präambel des Koalitionsvertrages wird erklärt: "Die besondere Lage in der DDR seit dem 9. November 1989 macht es zur Lösung der anstehenden Zukunftsaufgaben im Prozess der Vereinigung beider Teile Deutschlands erforderlich, parteitaktische Interessen zurückzustellen und eine große Koalition für die Zeit des Zusammenwachsens beider deutscher Staaten zu bilden." Hauptziel ist die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion" zum 1. Juli 1990. Mit 265 zu 108 Stimmen und drei Stimmenthaltungen wählt die Volkskammer Lothar de Maizière zum Ministerratsvorsitzenden und bestätigt die Minister seiner Großen Koalition. Vor der Wahl verliest die Volkskammerpräsidentin eine Erklärung aller Fraktionen. Darin bekennt sich das Parlament zu Mitschuld und Verantwortung für Vergangenheit und Zukunft. Am Ende der Erklärung wird die Unverletzlichkeit der Oder-Neiße-Grenze bekräftigt.

14. April: Seit Wochen bemühen sich drei in Berlin lebende Künstler darum, entlang der Mauer eine Blumenlandschaft zu erschaffen. Sie werben mit Plakaten, Pressekonferenzen und Bitten um Spenden für die Verwirklichung der Idee, die ursprünglich vom japanischen Künstler Shinkichi Tajiri stammt. Shinkichi Tajiri lehrt an der Hochschule der Künste in West-Berlin; bei seinen Flugreisen nach Berlin ist ihm aufgefallen, dass sich bei abendlichen Landeanflügen der erleuchtete Mauerstreifen wie ein hell leuchtendes Band durch Berlin windet. Er schlägt vor, entlang der Mauer die gelbe, bittere Lupine anzupflanzen. Am 14. April beginnt die Aktion "Mauer Land Lupine": DDR-Grenzsoldaten säen zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer Platz insgesamt 10 Tonnen Lupinensamen ein. Doch der Plan wird von Wildkaninchen und Vögeln aus Ost- und West-Berlin vereitelt: Sie lassen sich die Aussaat so gründlich schmecken, dass es nicht zur Blüte kommt.

16. April: Ministerratsvorsitzender Lothar de Maizière erhält vom sowjetischen Botschafter in der DDR, Wjatscheslaw Kotschemassow, ein inoffizielles Schreiben (Non-Paper) der sowjetischen Führung. Darin meldet Moskau Bedenken gegen einen schnellen Beitritt der DDR nach Artikel 23 des Grundgesetzes an. Zudem wird noch einmal deutlich gemacht, dass die NATO-Eingliederung des vereinigten Deutschlands für Moskau "unannehmbar" sei.

In der neuen DDR-Regierung bestehen ernste Befürchtungen, dass trotz aller Auflösungserscheinungen die nach wie vor vorhandenen Strukturen der Staatssicherheit die Regierung destabilisieren könnten. Gerüchte kursieren, dass Mitarbeiter der Staatssicherheit in Standorten der sowjetischen Streitkräfte Unterschlupf gefunden haben und von dort aus Attentate vorbereiten könnten.

19. April: Die Regierungserklärung von Lothar de Maizière ist ein Bekenntnis zur Einheit Deutschlands. Er betont in seiner Erklärung unter anderem: "Die Einheit muß so schnell wie möglich kommen, aber ihre Rahmenbedingungen müssen so gut, so vernünftig und so zukunftsfähig sein wie nötig."

24. April: Bundeskanzler Kohl und Ministerratsvorsitzender de Maizière treffen sich in Bonn und besprechen die Vorschläge der Bundesregierung für eine Währungsunion und Fragen eines Staatsvertrages zwischen den beiden deutschen Staaten. Dem DDR-Ministerpräsidenten wird ein Arbeitspapier für die Gespräche mit der DDR für einen "Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialgemeinschaft" übergeben.

25. April: Die Volkskammer lehnt mit 12 Stimmen Mehrheit (179 zu 167) den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Grüne ab, den Entwurf einer neuen DDR-Verfassung zu diskutieren. Den Entwurf hatte die Arbeitsgruppe "Neue Verfassung der DDR" des Runden Tisches auch über das Ende der Arbeit dieses Gremiums hinaus erarbeitet und am 5. April erstmals vorgestellt.

27. April: Die deutsch-deutschen Verhandlungen über die Herstellung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion beginnen; Verhandlungsführer sind für die BRD Bundesbank-Direktor Hans Tietmeyer und für die DDR Staatssekretär Günther Krause. Grundlage ist ein Papier der Bundesregierung, das einen Umtauschkurs von 1:1 für Einkommen und Renten sowie für Bargeld und Sparguthaben pro Kopf bis zu 4.000 Ost-Mark vorschlägt.

27. April: Der Chef der DDR-Grenztruppen, Generalmajor Dieter Teichmann, unterrichtet den Minister für Abrüstung und Verteidigung, Rainer Eppelmann, über den Umfang der Demontage von Grenzsicherungsanlagen.

Abzubauen seien insgesamt 1.476 km vordere und 1.510 km hintere Sperrelemente (Mauer und Zäune), 716 Beobachtungstürme und Führungsstellen sowie 845 km Kfz-Sperrgräben; rund 1,7 Mio. Tonnen Material müssten abtransportiert und wiederaufbereitet oder entsorgt werden. Dafür seien vier bis fünf Jahre zu veranschlagen.

In Berlin wird mit dem Abriss der Panzermauer am Brandenburger Tor begonnen. In den zurückliegenden Wochen ist die Entfernung von Grenzanlagen beschleunigt worden. Abgebaut sind zwar erst 2,91 km der Grenzmauer 75 (=6,1 %) sowie nur 7,17 km der Mauer in Plattenbauweise (=14 %), dafür jedoch bereits 57,1 km des Grenzsignalzaunes (=77,2 %), 25,9 km Stacheldraht auf dem Grenzsignal- und Sperrzaun (=86,1 %) und fast 90 % aller Signalteile auf den unterschiedlichen Zäunen. Auch wurden 62 Beobachtungstürme und Führungsstellen (=31 %) umgelegt und abgetragen. In Berlin soll die Mauer bis März 1991, im Bezirk Potsdam bis Ende 1991 verschwunden sein.

28. April: Im vornehmen West-Berliner Hotel Inter-Continental findet eine Versteigerung von drei Original-Mauersegmenten statt; zwei stammen vom Checkpoint Charlie, eins vom Brandenburger Tor. Die DDR-Außenhandelsfirma "Limex - Bau - Import Export" hat die West-Berliner "Le Lé Berlin Wall Verkaufs- und Wirtschafts-GmbH" damit "zum Wohl des Gesundheitswesens und der Denkmalpflege der DDR" beauftragt. Insgesamt 70 Mauersegmente sollen "einerseits als historisches Denk- und Mahnmal, andererseits als zeitgenössisches Kunstobjekt" in Berlin und auf weiteren Auktionen in Paris und Monaco einem ausgewählten Personenkreis angeboten werden. Bis zum 25. April soll der Mauer-Verkauf "Limex" insgesamt 900.000 DM eingebracht haben.

In der Thüringenhalle in Erfurt versammeln sich rund 1.500 Menschen. Sie gehören zu den Tausenden von Zwangsausgesiedelten, die innerhalb kürzester Zeit im Mai/Juni 1952 im Rahmen der sogenannten Aktion "Grenze" und "Ungeziefer" entlang der 1.400 Kilometer langen innerdeutschen Grenze aus ihren Häusern getrieben wurden. Bis zum Herbst 1989 herrschte über das Geschehen staatlich verordnetes Schweigen. Im Saal ist eine übergroße Tafel mit der Frage angebracht: "Warum?" Erst 1994 erkennt ein Gesetz die Zwangsaussiedlungen als Unrecht an, aber es fallen nur diejenigen unter die Rehabilitierungsklausel, bei denen die Folgen der Zwangsaussiedlung noch "unmittelbar schwer und unzumutbar fortwirken."

In Dublin wird ein EG-Sondergipfel beendet. Das Misstrauen, das den Straßburger Gipfel beherrschte, ist ausgeräumt. Der Europäische Rat befürwortet die Vereinigung Deutschlands. In der Erklärung heißt es unter anderem: "Wir freuen uns, dass die Vereinigung Deutschlands unter einem europäischen Dach stattfindet. Die Gemeinschaft wird dafür Sorge tragen, dass die Eingliederung des Staatsgebietes der Deutschen Demokratischen Republik in die Gemeinschaft reibungslos und harmonisch vollzogen wird."

29. April: Ministerpräsident Lothar de Maizière trifft zu einem Gespräch mit Partei- und Staatschef Michail Gorbatschow in Moskau ein. Zwar äußern Gorbatschow und de Maizière am Ende ihre Zufriedenheit, aber für de Maizière verläuft der Beginn des Gesprächs überraschend. Zehn Jahre später berichtet er darüber: "Er kam an und erzählte mir erst einmal zehn Minuten lang, was er von mir alles erwarte, was ich zu tun hätte. Als ich dann sagte, er irrte sich, es wären ein paar (…) Wechsel eingetreten, ich wäre – anders als meine Vorgänger – nicht mehr zum Befehlsempfang gekommen, sondern ich stützte mich auf 75 Prozent einer frei gewählten Volkskammer. Ich wäre bereit, mit ihm über die Dinge zu reden, die uns gemeinsam interessierten, (…) aber nicht mehr im Sinne von Befehlsempfang. Da war er ziemlich – also, er ging ziemlich aus dem Leim. Das habe ich ihm gar nicht zugetraut, dass er so heftig werden könnte." Das überlieferte Gesprächsprotokoll vermittelt demgegenüber eine offene und freundliche Atmosphäre, obwohl Gorbatschow noch einmal seine ablehnende Haltung gegenüber einer Vereinigung nach Artikel 23 des Grundgesetzes und der NATO-Mitgliedschaft Deutschlands betont.

30. April: Bei einem Gespräch zwischen der Volkskammerpräsidentin Sabine Bergmann-Pohl und Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth wird die Bildung eines gemeinsamen Parlamentsausschusses zur deutschen Einheit beschlossen. In der gemeinsamen Erklärung betonen die Präsidentinnen: "Die nun zu treffenden weitreichenden und grundlegenden Beschlüsse für die Zukunft unseres Volkes bedürfen der gründlichen parlamentarischen Beratung. Dies ist die Stunde der Parlamente."

Ende April: 16.000 Menschen haben im April die DDR verlassen; seit dem Jahresbeginn 1990 sind es über 170.000. Die Ankündigung der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion zum 1. Juli 1990 hat die Abwanderung jedoch eingedämmt.

Mai 1990

Auf die Unterzeichnung des Staatsvertrages zwischen der BRD und der DDR über die Wirtschaft-, Währungs- und Sozialunion stoßen DDR- Ministerpräsident Lothar de Maiziere und Bundeskanzler Helmut Kohl mit einem Glas Sekt an

2. Mai: Beide deutsche Regierungen geben nach Abschluss der Verhandlungen in einer gemeinsamen Erklärung bekannt, dass zwischen der Bundesrepublik und der DDR ein Staatsvertrag zur Einführung der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion geschlossen wird, der am 1. Juli 1990 in Kraft treten soll. 

Als Voraussetzungen für die Währungsumstellung werden insbesondere die Gewährleistung der Stabilität der D-Mark und die Solidität der Staatsfinanzen genannt. Gemeinsame Zielsetzung sei, dass die soziale Marktwirtschaft in der DDR so schnell wie möglich eingeführt werde.

3. Mai: Ministerratsvorsitzender Lothar de Maizière gibt in Ost-Berlin als Termin für die Wiedereinführung der Länder in der DDR den 1. Januar 1991 bekannt. Er signalisiert damit, dass er im Verlauf des Jahres 1990 nicht mehr mit gesamtdeutschen Wahlen rechnet. Diese Zeitplanung deckt sich mit der des Bundeskanzlers, der bis zu diesem Zeitpunkt gesamtdeutsche Wahlen Ende 1991 abhalten möchte. Doch schon wenige Tage später – nach dem Sieg der SPD bei den Landtagswahlen am 13. Mai in Nordrhein-Westfalen und in Niedersachsen – ist dem Kanzler klar, dass die sich abzeichnenden Kosten des Vereinigungsprozesses zu einer Last für die CDU werden und ihre Wahlchancen negativ beeinflussen könnten. Weil Kohl spürt, dass die Zeit knapp werden könnte, erklärt er, dass er für eine gesamtdeutsche Wahl schon Ende dieses Jahres "offen" sei.

5. Mai: In Bonn findet die erste Außenminister-Konferenz der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen über die äußeren Aspekte der deutschen Einheit statt. Während der Gespräche entsteht eine kritische Situation, als der sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse eine zeitliche Entkopplung der Verhandlungen über die äußeren und inneren Aspekte des Vereinigungsprozesses vorschlägt. Dadurch will die Moskauer Führung vor allem die NATO-Mitgliedschaft des vereinten Deutschlands verhindern bzw. Zeit gewinnen. Doch alle anderen Teilnehmer sprechen sich kategorisch gegen den Vorschlag aus. Am Ende einigen sich alle auf eine Erklärung, die den Deutschen das Recht auf staatliche Einheit zubilligt. Zu einem der nächsten Treffen soll auch der polnische Außenminister eingeladen werden, wenn in den Verhandlungen Polen betreffende Grenzfragen zur Sprache kommen.

8. Mai: In Brüssel wird zwischen der EG und der DDR ein Handels- und Kooperationsabkommen unterzeichnet. Die Laufzeit des Abkommens beträgt zehn Jahre. Zudem erklären sich die EG-Außenminister bereit, die Visumpflicht für DDR-Bürger bei Reisen in Staaten der EG zum 1. Juli 1990 aufzuheben. An diesem Tag sollen auch die Kontrollen an der innerdeutschen Grenze entfallen.

Bei der Staatlichen Versicherung der DDR herrscht aufgrund der Festlegung des Umtauschkurses von 1:2 für Versicherungen großer Andrang. In Leipzig bilden sich vor dem Versicherungsgebäude lange Schlangen, da sich viele ihre Lebensversicherung vor dem 1. Juli auszahlen lassen wollen. Das Spekulationsgeschäft mit den beiden Währungen boomt vor der Währungsumstellung auf vielfältige Art und Weise.

10. Mai: Ministerratsvorsitzender Lothar de Maizière und der West-Berliner Regierende Bürgermeister Walter Momper vereinbaren auch für Berlin den Wegfall der Kontrollen an der innerstädtischen Grenze ab Juli 1990.

Seit der Bekanntgabe von Einzelheiten der beabsichtigten Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion gibt es landesweit Proteste und auch Streiks. In Leipzig protestieren Lehrer, Kindergärtnerinnen sowie Beschäftigte der Textil-, Bekleidungs- und Lederindustrie aus Sorge um ihre Arbeitsplätze und gegen den befürchteten Sozialabbau. Die DDR-Wirtschaft befindet sich in einer tiefen Krise; vor allem SPD und PDS warnen vor einem wirtschaftlichen "Ausverkauf" der DDR. Das Ausmaß der Krise lässt sich bei einem Treffen der beiden deutschen Finanzminister in Ost-Berlin nur erahnen: DDR-Finanzminister Walter Romberg ist nicht in der Lage oder willens, verbindliche Zahlen über die finanzielle Lage und das Ausmaß der Verschuldung der DDR zu nennen. Lothar de Maizière berichtet später, dass die DDR-Regierung bereits zu diesem Zeitpunkt nicht mehr wusste, wie sie die Löhne und Gehälter der Staatsbeschäftigten im Sommer bezahlen sollte.

13./14. Mai: Unter größter Geheimhaltung fliegt Kanzlerberater Horst Teltschik mit den Bankiers Hilmar Kopper (Deutsche Bank) und Wolfgang Röller (Dresdner Bank) nach Moskau, um über die Vergabe eines 5-Mrd.-DM-Kredites an die Sowjetunion zu verhandeln. Am 4. Mai hatte der sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse Bundeskanzler Kohl am Rande der Zwei-plus-Vier-Konferenz auf die Möglichkeit eines 20 Milliarden DM-Kredits mit einer Laufzeit von fünf bis sieben Jahren zur Überwindung der akuten Versorgungskrise in der Sowjetunion als Wunsch Gorbatschows angesprochen. Zehn Jahre später berichtete Horst Teltschik in einem Interview über den Zweck der geheimen Mission: "Bei dem Gespräch mit Gorbatschow ging es darum, das war mein Auftrag, ihm deutlich zu machen: Der Kanzler ist bereit, diesen Kredit zu geben. Aber, wir wollen auch was dafür haben." Konkret erhoffte sich die Bundesregierung durch die Vergabe des Kredites ein Entgegenkommen der Sowjetunion in der Frage der NATO-Mitgliedschaft des vereinten Deutschlands. "Die Sowjetunion brauche jetzt Sauerstoff, sie brauche Geld, um die Wende herbeizuführen", hört Teltschik bei den Verhandlungen mit Gorbatschow heraus, "sie brauche eine Schulter."

16. Mai: Zur Finanzierung der Einheit einigen sich Bund und Länder in Bonn auf die Schaffung eines Fonds "Deutsche Einheit". Sein Volumen beträgt 115 Mrd. DM, von denen 95 Mrd. auf dem Kreditmarkt aufgenommen und 20 Mrd. dem Bundeshaushalt entnommen werden sollen.

18. Mai: In Bonn unterzeichnen die Finanzminister Theo Waigel und Walter Romberg den Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion. Bundeskanzler Helmut Kohl bezeichnet die Unterzeichnung als die "Geburtsstunde des freien und einigen Deutschlands". Zugleich verspricht er, dass die Einführung der sozialen Markwirtschaft für alle in der DDR die Chance, ja sogar die Gewähr dafür biete, "dass Brandenburg, Sachsen und Thüringen wieder blühende Landschaften in Deutschland sein werden, in denen es sich für jeden zu leben und zu arbeiten lohnt." In ähnlicher Weise äußert sich auch der Ministerratsvorsitzende Lothar de Maizière; er spricht davon, dass es niemanden schlechter gehen solle als vorher.

22. Mai: Der sowjetischen Botschaft in Bonn wird ein Brief Helmut Kohls an Michail Gorbatschow übergeben, in dem der Kanzler die Bereitschaft der Bundesrepublik zur Ausreichung eines 5 Mrd. DM-Kredites übermittelt - verbunden mit Erwartung von konstruktiven Lösungen im Zwei-plus-Vier-Prozess.

28. Mai: Zöllner, Grenzer und vor allem die Volkspolizisten der DDR leiden unter ihren Ansehens- und Autoritätsverlusten. Von der Zeitspanne zwischen dem Mauerfall am 9. November 1989 und der Herstellung der deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 wird man später als dem "kurzen Jahr der Anarchie" sprechen.

29. Mai: Beide deutsche Regierungen tauschen bei Vorgesprächen über einen Einigungsvertrag ihre Positionen aus. Verhandlungsführer sind Innenminister Wolfgang Schäuble für die Bundesrepublik und Staatssekretär Günther Krause für die DDR.

30. Mai: Partei- und Staatschef Michail Gorbatschow tritt eine Reise in die Vereinigten Staaten an. Bei seinen Gesprächen in Washington und in Camp David mit US-Präsident George Bush stimmt Gorbatschow am darauf folgenden Tag überraschend dem amerikanischen Präsidenten Bush zu, dass alle Staaten gemäß der KSZE-Schlußakte das Recht haben, ihre Bündniszugehörigkeit frei zu wählen. Damit akzeptiert Gorbatschow in letzter Konsequenz, dass ganz Deutschland auch zur NATO gehören kann. Auf der abschließenden gemeinsamen Pressekonferenz erklärt es George Bush zum Ziel, dass ein vereinigtes Deutschland "Vollmitglied der NATO" sein solle. Gorbatschow widerspricht Bush nicht und bestätigt damit zugleich, dass die Bündniszugehörigkeit letztlich Sache der Deutschen sei. Die Sensation ist perfekt und ein grundlegender Durchbruch bei den weiteren Verhandlungen über die äußeren Aspekte der Einheit erreicht. "Man kann davon ausgehen, dass von diesem Augenblick an die durch die Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges entstandene deutsche Frage zu existieren aufhörte," kommentierte Gorbatschow später sein Treffen mit Bush. – Beobachter registrieren, dass bei dem Hubschrauberflug beider Staatsmänner nach Camp David am 2. Juni US-Präsident Bush an seinem Handgelenk die "Doomsday"-Aktentasche für das Startsignal zum Abschuss von Atomraketen trägt, während Gorbatschows Mitarbeiter das "Chemodantschik", das Köfferchen, das sowjetische Gegenstück, bei sich hat.

Der DDR-Ministerrat beschließt, dass ab dem 1. Juli in Berlin möglichst alle durch die Mauer unterbrochenen Straßenübergänge geöffnet und keine Grenzkontrollen mehr durchgeführt werden sollen. Westliche Baufirmen sollen um kostenlose Hilfe beim Abriss der Mauer und der Wiederherstellung der Straßenverbindungen durch den ehemaligen Todesstreifen gebeten werden.

31. Mai: Die Volkskammer beschließt die Überprüfung, die treuhänderische Verwaltung und Vorbereitung eines gesetzlichen Verfahrens für die weitere Verwendung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR. PDS und andere Nachfolger von DDR-Organisationen befürchten nun, dass ihre Enteignung bevorsteht und versuchen, in unterschiedlichem Maße Bestandteile ihres Vermögens zu transferieren.

Am Tage zuvor hat die Volkskammer die freie Preisbildung zum 1. Juli 1990 beschlossen. Konkret bedeutet dies den Wegfall von Subventionen etwa für Grundnahrungsmittel. Erhalten bleibt vorerst die staatliche Stützung für Mieten und Pachten sowie für Verkehrs- und Energietarife.

Juni 1990

In Monte Carlo werden am 23. Juni 1990 Mauersegmente versteigert (Titelbild des 1990 im Berliner Elefanten Press Verlages erschienen Auktionskataloges)

3. Juni: US-Präsident George Bush unterrichtet Bundeskanzler Helmut Kohl telefonisch über den Verlauf der amerikanisch-sowjetischen Gespräche und die sich nun bietenden Möglichkeiten bei der Gestaltung der deutschen Vereinigung. Am nächsten Tag telegrafiert Bush an Kohl: "In dem Maße, wie wir den sowjetischen Sicherheitsinteressen außerhalb der 2+4-Gespräche Rechnung tragen können – in unseren bilateralen Beziehungen, in Wien und auf den NATO-Gipfeltreffen –, werden unsere Chancen steigen, dass wir Gorbatschow dazu bewegen können, ein vereinigtes Deutschland als volles Mitglied der NATO zu akzeptieren. Er muss wissen, dass die volle NATO-Mitgliedschaft nicht zur Disposition steht, wir ihm aber in anderer Weise helfen können."

5. Juni: Am Ost-Berliner Palast der Republik, in dem auch die DDR-Volkskammer tagt, wird das dreieinhalb Meter hohe DDR-Emblem abmontiert.

6. Juni: Schon seit 1986 meint das Bundeskriminalamt zu wissen, dass Mitglieder der terroristischen Roten Armee Fraktion (RAF) in der DDR Unterschlupf gefunden haben. Im Mai 1990 werden Auslieferungsersuchen an die DDR gestellt. Als erste der gesuchten RAF-Terroristen wird Susanne Albrecht im Ost-Berliner Stadtbezirk Marzahn verhaftet. Sie wird dringend verdächtigt, in den 70er Jahren an der Ermordung des Bankiers Jürgen Ponto und an einem Sprengstoffanschlag auf die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe beteiligt gewesen zu sein. Die Staatsbürgerschaft der DDR hatte Susanne Albrecht im Jahre 1980 erhalten. Inzwischen trägt sie den Namen Becker, ist verheiratet, hat ein Kind und arbeitet als Chemielaborantin. Es folgen bis zum 18. Juni weitere Verhaftungen von untergetauchten RAF-Terroristen in Magdeburg, Frankfurt/Oder, Senftenberg, Schwedt und in Neubrandenburg. Für die Einbürgerung, Wohnungs- und Arbeitsvermittlung der westdeutschen Terroristen hatte die Staatssicherheit gesorgt.

7. Juni: Der DDR-Ministerratsvorsitzende Lothar de Maizière nimmt in Moskau an der Tagung des Politischen Beratenden Ausschusses der Warschauer Vertragsorganisation (WVO) teil. Es zeigen sich deutliche Auflösungserscheinungen. Bei seiner Rückkehr bezeichnet er das Treffen als "Beerdigung erster Klasse". Polen, Ungarn und die CSFR sprechen sich für eine Auflösung bzw. das Verlassen der Organisation aus. Auch in der DDR-Delegation herrscht stillschweigendes Einvernehmen darüber, dass mit der Herstellung der deutschen Einheit die Mitgliedschaft im Warschauer Vertrag endet. Der ungarische Ministerpräsident Josef Antall erklärt, dass er die Zukunft seines Landes in Westeuropa sieht. Im abschließenden Kommuniqué wird das "ideologische Feindbild" für überwunden erklärt. "Die konfrontativen Elemente der WVO und der NATO entsprechen nicht mehr dem Zeitgeist", heißt es.

Zeitgleich, nur einen Tag länger, tagen die NATO-Außenminister in Großbritannien (Turnberry). In ihrer "Botschaft von Turnberry" begrüßen die Minister der Allianz die Moskauer-Erklärung. Sie fühlen sich zu konstruktiver Zusammenarbeit ermutigt und erklären grundsätzlich: "Wir, die Außenminister der Allianz, bekunden unsere Entschlossenheit, die historische Chance zu ergreifen, die sich aus den grundlegenden Veränderungen in Europa ergibt, um eine neue europäische Friedensordnung zu schaffen, gegründet auf Freiheit, Recht und Demokratie. In diesem Geiste reichen wir der Sowjetunion und allen anderen europäischen Ländern die Hand zu Freundschaft und Zusammenarbeit."

8. Juni: Die Botschafter der Drei Westmächte teilen dem Bundeskanzler in einer gemeinsamen Note mit, dass sie ihre alliierten Vorbehaltsrechte gegen die direkten Wahlen zum Bundestag in Berlin und gegen das volle Stimmrecht der Berliner Vertreter im Bundestag und Bundesrat aufheben. Bislang hatte das Abgeordnetenhaus aufgrund der Vorbehaltsrechte (seit 14.5.1949) die Berliner Bundestagsabgeordneten nur delegieren können und sie hatten im Bundestag nur ein beratendes Stimmrecht. Unverändert bleibt jedoch vorläufig die Haltung der Westmächte, dass die Westsektoren Berlins kein konstitutiver Teil der Bundesrepublik sind und durch sie nicht regiert werden dürfen.

9. Juni: Ministerratsvorsitzender Lothar de Maizière reist als erster DDR-Regierungschef zu einem viertägigen Besuch in die Vereinigten Staaten. Er wird am 11. Juni vom amerikanischen Präsidenten Bush zu Gesprächen empfangen. Hierbei drängt Bush vor allem auf die Zurücknahme des von DDR-Außenminister Markus Meckel zwei Tage zuvor gemachten Vorschlages, in Zentraleuropa eine "Pufferzone" ("Sicherheitszone") einzuführen. Bush bemerkt gegenüber de Maizière, dass dieser Vorschlag "nicht hilfreich" sei. Doch der Außenminister hat seinen Regierungschef über seine Initiative gar nicht in Kenntnis gesetzt. Deshalb erwidert de Maizière, dass er keine Vorschläge unterstütze, von denen er erstmals aus der Presse erfahre. Am 13. Juni informiert Bush den Bundeskanzler in einem Brief über sein Treffen mit de Maizière: "Unsere Gespräche waren sehr freundschaftlich und offen. Ich fand, dass er ein nachdenklicher, in Staatsgeschäften unerfahrener Mann ist, aber von ausgeprägtem Sinn für Verantwortung. Ich sagte ihm, wie hoch ich die Zusammenarbeit schätze, die er mit Ihnen entwickelt hat."

Kurz zuvor, vom 5. bis zum 8. Juni, besucht Bundeskanzler Kohl die USA. Er erhält an der Harvard University die Ehrendoktorwürde und geht in seiner Dankesansprache auf die berühmte Rede von George Marshall an der Harvard University im Jahre 1947 ein. Damals hatte Marshall das Wiederaufbauprogramm für Europa ("Marshall-Plan") bekannt gegeben. Kohl bedankt sich für die amerikanische Hilfe. Am 8. Juni trifft er US-Präsident George Bush. Dabei stellt der Kanzler noch einmal klar, "dass für ihn alles indiskutabel sei, was zum Ziel habe, dass das vereinigte Deutschland außerhalb der NATO bleibe." Kohl und Bush stimmen darin überein, dass ein Ausscheiden Deutschlands aus der NATO bedeute, dass in Europa alles zunichte gemacht wird, was in 40 Jahren erreicht wurde. Das Gespräch verläuft "äußerst harmonisch" und am Ende wird dem Kanzler scherzhaft angeboten, "für ihn ein Bett im Weißen Haus aufzuschlagen, da er jetzt so häufig nach Washington komme."

11. Juni: Bei der abendlichen Beratung des Bundeskanzlers überrascht der Chef des Bundeskanzleramtes Rudolf Seiters die Anwesenden mit der Mitteilung aus Ost-Berlin, dass noch in dieser Woche in der Volkskammer ein Antrag zum Beitritt nach Artikel 23 eingebracht werden solle. Die Initiative kommt von der Fraktion Bündnis 90/Grüne und wird von der CDU-Fraktion unterstützt. Seiters weiß aber zu berichten, dass der Vorsitzende der CDU-Fraktion, Günther Krause, der Initiative von Bündnis 90/Grüne nach Möglichkeit zuvorkommen will. Der Kanzler erklärt daraufhin, dass zwar alles gut sei, was den Einigungsprozess beschleunige, der Staatsvertrag jedoch auf keinen Fall in Gefahr geraten dürfe und ein Beitritt vor Abschluss der Zwei-plus-Vier-Gespräche nicht zur Diskussion stehe.

12. Juni: Nach 42 Jahren halten die beiden Berliner Stadtregierungen (West-Senat und Ost-Magistrat) die erste gemeinsame Sitzung ab. Die Bürgermeister, Tino Schwierzina (SPD) für Ost-Berlin und Walter Momper (SPD) für West-Berlin, kündigen an, dass sie alles tun werden, um die Einheit in der Stadt zügig wiederherzustellen. Die Zusammenarbeit beider Verwaltungen soll schleunigst intensiviert werden. Die Arbeiten zur Wiederherstellung der Straßenverbindungen zwischen Ost- und West-Berlin, zum größten Teil von West-Berlin finanziert, schreiten zügig voran.

Am 13. Juni beginnt der Abriss der Grenzmauer in der symbolträchtigen Bernauer Straße, auch zwischen den Stadtbezirken Mitte und Kreuzberg sowie Treptow und Neukölln werden Mauersegmente entfernt.

Den Versuch von Abrüstungsminister Rainer Eppelmann, die Kosten für den Abriss der Hinterlandmauer auf den Magistrat von Ost-Berlin abzuwälzen, wehrt der Ost-Berliner Oberbürgermeister Tino Schwierzina mit der Begründung ab: "Die Berliner wollten die Mauer nicht. Wir werden nicht eine Mark für den Abriß zahlen." Am Ende des Monats befiehlt der Kommandeur des Grenzkommandos Mitte, Oberst Günter Leo, dass sämtliche innerstädtischen Grenzsicherungsanlagen in Berlin mit Ausnahme einiger unter Denkmalschutz zu stellender Teile bis zum 31.12.1990 abzubauen sind.

Der Abriß des weitaus längeren Teils der Mauer zwischen Berlin und dem Bezirk Potsdam ("Außenring") werde allerdings mehr Zeit beanspruchen. Doch ordnet Leo den Abbau des Streckmetallgitterzaunes an, nicht zuletzt um ihn "vor Diebstahl zu schützen".

13. Juni: Volkskammer-Vizepräsident Wolfgang Ullmann von der Fraktion Bündnis 90/Grüne kündigt an, dass ein Antrag zum Beitritt nach Artikel 23 gestellt werde, weil das Grundgesetz die sozialen Belange der Bevölkerung der DDR besser garantiere als der künftige Staatsvertrag. Aus diesem Grund solle der Beitritt zum Grundgesetz nach Artikel 23 noch vor Inkrafttreten der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion erfolgen. Den Antrag haben fünf Abgeordneten der Fraktion Bündnis 90/Grüne, drei der SPD und vier der CDU unterzeichnet. Doch im letzten Moment treten die CDU-Abgeordneten von ihren Zusagen wieder zurück. Der Antrag scheitert. Bonn signalisiert, dass ein Beitrittsantrag erst nach dem 1. Juli gestellt werden solle.

15. Juni: Nach Abschluss der Verhandlungen über die Regelung offener Vermögensfragen geben die beiden deutschen Regierungen bekannt, dass die Enteignungen auf besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage zwischen 1945 und 1949 nicht mehr rückgängig zu machen sind. Ansonsten muß in der DDR enteignetes Grundvermögen grundsätzlich den ehemaligen Eigentümern zurückgegeben werden.

Zu Beginn der Volkskammer-Sondersitzung vom 17. Juni 1990 wird Bundeskanzler Helmut Kohl, der auf der Gästetribüne Platz genommen hat, begrüßt

17. Juni: Im Ost-Berliner Schauspielhaus gedenken Abgeordnete des Deutschen Bundestag und der Volkskammer in Anwesenheit der beiden Regierungschefs gemeinsam am "Tag der deutschen Einheit" – dem Gedenkfeiertag des Juni-Aufstandes in der Bundesrepublik – den Opfern des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953.

Im Anschluß an die Gedenkstunde debattiert die Volkskammer in einer Sondersitzung erneut über einen Antrag der DSU auf sofortigen Beitritt der DDR zur Bundesrepublik gemäß Artikel 23. Die Mehrzahl der Abgeordneten sieht jedoch den Vereinigungsprozeß durch einen überstürzten Beitritt gefährdet. Der Antrag wird an den Verfassungs- und Rechtsausschuß verwiesen.

In der Nacht zum 18. Juni streicht die Volkskammer mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit die letzten Verfassungsgrundsätze der alten DDR-Verfassung. Im neuen Gesetz über Verfassungsgrundsätze ("Gesetz zur Änderung und Ergänzung der Verfassung") bezeichnet sich die DDR nun als ein "freiheitlicher, demokratischer, föderativer, sozialer und ökologisch orientierter Rechtsstaat". Nach Artikel 8 des Gesetzes ist es nun auch möglich, dass die DDR ihre Hoheitsrechte beschränken oder auf Einrichtungen der Bundesrepublik übertragen kann.

Mehrheitlich billigten die Abgeordneten das so genannte "Treuhandgesetz". Dadurch wird die Privatisierung bzw. Reorganisation des volkseigenen Vermögens mit Ausnahme staatlicher oder kommunaler Einrichtungen gesetzlich festgeschrieben. Ab dem 1. Juli sollen 8.000 Kombinate und volkseigene Betriebe entflochten und in Kapitalgesellschaften umgewandelt werden. Bislang hatten sich nur rund 700 Betriebe als Aktiengesellschaften oder GmbH registrieren lassen. Generell bedeutet diese Zielsetzung, dass alle Betriebe neu bewertet und die Bilanzen auf D-Mark umgestellt werden müssen. Die mit der Durchführung beauftragte Treuhandgesellschaft ist nun eine Anstalt des öffentlichen Rechts und untersteht direkt dem Ministerrat. Die erzielten Einnahmen sollen primär für die Sanierung der Betriebe und erst zweitrangig zur Aufstockung des Staatshaushaltes verwendet werden.

21. Juni: Mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit stimmen beide deutschen Parlamente dem 1. Staatsvertrag – der Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion – zu. Vor der Abstimmung im Bundestag wiederholt der Bundeskanzler in einer Regierungserklärung noch einmal die Worte des DDR-Ministerpräsidenten de Maizière: "Es wird niemanden schlechter gehen als zuvor – dafür vielen besser." An die Adresse der Bundesbürger gerichtet erklärt er: "Für das große Ziel der Einheit unseres Vaterlandes werden auch wir in der Bundesrepublik Opfer bringen müssen. Ein Volk, das dazu nicht bereit wäre, hätte seine moralische Kraft längst verloren." Am darauf folgenden Tag stimmt auch der Bundesrat dem Vertrag zu. Gemäß Artikel 1 bilden die Bundesrepublik und die DDR "beginnend mit dem 1. Juli 1990 eine Währungsunion mit einem einheitlichen Wirtschaftsgebiet." Zudem verabschieden beide Parlamente gleichlautende Entschließungen zur endgültigen Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze als polnische Westgrenze. Mit dieser Bundestags-Entschließung, heißt es in der "Tageszeitung" (TAZ), sei Kanzler Helmut Kohl zur historischen Größe geworden. Er sei das verkörperte Desaster der Linken.

22. Juni: In Bonn gibt Regierungssprecher Hans Klein bekannt, dass die Bundesregierung die Bürgschaft für einen 5-Mrd. DM-Kredit eines westdeutschen Bankenkonsortiums an die Sowjetunion übernommen habe. Der Kredit solle dazu beitragen, "den wirtschaftlichen Reformprozess der Sowjetunion in einer schwierigen Übergangsphase abzustützen und auf diese Weise zum Ausbau der deutsch-sowjetischen Beziehungen, gerade auch im Hinblick auf die deutsche Einheit, beitragen." – Drei Wochen später informiert Finanzminister Theo Waigel den Bundeskanzler, dass die Sowjetunion den Kredit bereits in voller Höhe in Anspruch genommen habe.

In Ost-Berlin beginnt die zweite Runde der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen der Außenminister. Von sowjetischer Seite wird vorgeschlagen, dass sich die Truppen aller Siegermächte etappenweise aus Deutschland zurückziehen und erst dann Deutschland seine volle Souveränität zurückerhalten soll. Alle übrigen Verhandlungsseiten sprechen sich für die Gleichzeitigkeit von äußerer Selbstständigkeit und innerer Vereinigung aus.
Vor Konferenzbeginn wird in Anwesenheit aller sechs Außenminister der alliierte Grenzübergang "Checkpoint Charlie" abgebaut. Der Grenzübergang, der seit dem 22. August 1961 als Sektorenübergang für Westalliierte, Ausländer und Diplomaten diente, war zum Symbol des Viermächtestatus von Berlin geworden.

23. Juni: Im Metropole Palace Hotel in Monte Carlo findet eine weitere Versteigerung von bemalten Mauersegmenten statt. Zu diesem Zweck sind sechs Segmente mit einem Gesamtgewicht von 16 Tonnen in die Hauptstadt des Fürstentums Monaco transportiert worden. Angeboten werden insgesamt 81 Mauerteile: 70 vollständige Segmente und 11 große Fragmente. Teile, die am Potsdamer Platz und am Brandenburger Tor demontiert worden sind, werden als "Schlüsselsteine im längsten Kunstwerk der Welt", wie es im Auktionskatalog heißt, angeboten. Käufern wird ein "Echtheits-Zertifikat" der DDR-Firma Limex-Bau Export-Import übergeben. Die Erlöse auch dieser Versteigerung, die unter der Schirmherrschaft zweier Mediziner von der Ost-Berliner Charité steht, sollen dem Gesundheitswesen der DDR zugute kommen. "Ihre Hilfe", versichern sie im Vorwort des aufwendig gestalteten Versteigerungskataloges, "wird zu einer Hilfe für die Kranken."

26. Juni: Der Minister für Abrüstung und Verteidigung, Rainer Eppelmann, befiehlt den DDR-Grenztruppen, mit Inkrafttreten des Staatsvertrages am 1. Juli 1990 "die Maßnahmen der Grenzüberwachung und der Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs" an der innerdeutschen Grenze und in Berlin einzustellen (Befehl Nr. 10/90). Aus Angehörigen der Grenztruppen solle ab 1. Juli einen "Grenzschutz der DDR" gebildet werden, der dem Innenminister untersteht.

27. Juni: Der DDR-Ministerrat und die Bundesregierung billigen das gegenseitige Abkommen über die Aufhebung der Personenkontrollen an der innerdeutschen Grenze zum 1. Juli 1990. Am 29. Juni erklärt die Bundesministerin für innerdeutsche Beziehungen, Dorothee Wilms, zur bevorstehenden Abschaffung der Grenzkontrollen: "Der 1. Juli 1990 ist ein glücklicher Tag in der deutschen Geschichte. An diesem Tag fallen nach 45 langen Jahren, für viele fast unerträgliche Jahre, die letzten Schranken innerhalb Deutschlands, die Personenkontrollen sind abgeschafft."

29. Juni: Bei einem Festakt in der Nikolaikirche in Berlin-Mitte erhält der Bundespräsident und ehemalige Regierende Bürgermeister von Berlin (1981-1984), Dr. Richard von Weizsäcker, die Ehrenbürgerwürde von ganz Berlin.

30. Juni: Im Lagebericht der bayrischen Bundesgrenzschutzzentrale wird am Ende des Tages vermerkt: "Mit Ablauf des 30. Juni wurden die Grenzüberwachung und die Grenzkontrollen an der innerdeutschen Grenze eingestellt." Reinhard Killian vom Bundesgrenzschutz und Uli Schmidt vom DDR-Grenzkommando fahren im Trabi-Kübel nahe der Grenzübergangsstelle Probstzella die letzte Grenzstreife gemeinsam.

In einer Fernsehansprache richtet sich Ministerratsvorsitzender Lothar de Maizière am Abend vor Inkrafttreten der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion an die Bevölkerung der DDR. Der Schritt in die materielle Freiheit solle mit Selbstvertrauen und Zuversicht gewagt werden. "Lasst uns mutig anfangen. Wir sollten nicht in erster Linie und vor allem Probleme sehen, sondern die Chance."

In der Nacht versammeln sich rund 10.000 Menschen auf dem Alexanderplatz. Schon Stunden vor der Öffnung der neu eingerichteten Filiale der Deutschen Bank am Alexanderplatz wird die D-Mark gefeiert. Die Bankfiliale am Alexanderplatz tauscht als erste – ab Mitternacht – DDR-Mark in D-Mark um.

Juli 1990

Einzug der D-Mark kommt in die DDR

1. Juli: In vielen DDR-Städten und -Gemeinden wird der Eintritt in das "D-Mark-Zeitalter" mit Feuerwerkskörpern, Sekt und Autohupen euphorisch gefeiert. Lange vor der Öffnung der insgesamt rund 15.000 Banken, Sparkassen, Postämter und Sonderauszahlungsstellen stehen vielerorts im Land die ersten Kunden an. Der größte Bargeldumtausch der Wirtschaftsgeschichte findet statt. Die am 30. Juni 1990 bei den DDR-Geldinstituten vorhandenen Guthaben in Höhe von 184,7 Milliarden DDR-Mark werden in 122,8 Milliarden DM umgestellt. Die Umtauschaktion verläuft zügig und störungsfrei.
 

In einer Fernsehansprache bittet Bundeskanzler Kohl die "Landsleute in der DDR" darum, dass sie jetzt die Chance ergreifen und "mit Zuversicht nach vorn blicken"; die Währungsunion sei "der entscheidende Schritt zur Einheit unseres Vaterlandes, ein großer Tag in der Geschichte der deutschen Nation". Der Kanzler zitiert den Satz von Lothar de Maizière, dass es "niemanden schlechter gehen (wird) als zuvor – dafür vielen besser" und wiederholt sein Versprechen auf "blühende Landschaften". Von den Bundesbürgern fordert er, Opfer für die Einheit zu tragen: "Ein Volk, das dazu nicht bereit wäre, hätte seine moralische Kraft verloren."

In der innerdeutschen Grenze entfallen die Personenkontrollen. Offiziell tritt das entsprechende Abkommen erst nach der Zustimmung des Bundesrats am 6. Juli in Kraft. Zugleich werden sechs neue Grenzübergänge zwischen der Bundesrepublik und der Tschechoslowakei eröffnet. Mit der Aufhebung der Personenkontrollen wird auch das Notaufnahmeverfahren für Übersiedler aus der DDR eingestellt. Am 29. Juni 1990 (Freitag), dem letzten Tag, an dem sich DDR-Bürger im Notaufnahmeverfahren registrieren lassen konnten, werden bundesweit 14 Übersiedler registriert. Vor den Volkskammerwahlen am 18. März 1990 gab es wöchentlich noch 15.000 Registrierungsfälle.

2. Juli: Die DDR-Regierungskoalition stimmt den Fahrplan zur deutschen Einheit ab: Abschluss der Zwei-plus-Vier-Gespräche und Vorlage des unterschriftsreifen Einigungsvertrages bis Ende September, Landtagswahlen in der DDR am 14. Oktober und erste gesamtdeutsche Wahlen am 2. Dezember 1990. Die Verhandlungen über den Einigungsvertrag sollen unverzüglich beginnen. Am darauf folgenden Tag stimmt die Bundesregierung dem Fahrplan zu. Doch in den folgenden Wochen kommt es in beiden Parlamenten zu Diskussionen und heftigen Streitereien um den Wahlmodus und den Zeitpunkt des Beitritts.

3./4. Juli: In Ost-Berlin findet unter Beteiligung Polens die sechste Zwei-plus-Vier-Gesprächsrunde auf Beamtenebene statt. Schwerpunkt ist die Erstellung einer zwanzig Punkte umfassenden "Inventurliste", in der die künftig zu behandelnden sicherheitspolitischen Verhandlungsthemen (unter anderem Verzicht auf ABC-Waffen, Präsenz sowjetischer Truppen, Veränderungen in der NATO) aufgeführt werden. Jeder Delegation wird freigestellt, weitere Punkte zur Aufnahme in diese Liste vorzuschlagen. Zu den polnischen Vorstellungen über einen Vertrag zur Oder-Neiße-Grenze und einen Kooperationsvertrag erklärt die deutsche Seite, dass sie nach der Vereinigung so schnell wie möglich in Verhandlungen über die vertragliche Ausgestaltung der Beziehungen treten möchte.

6. Juli: In Ost-Berlin beginnt die erste deutsch-deutsche Verhandlungsrunde über den Einigungsvertrag (2. Staatsvertrag). Alle Beteiligten bemühen sich den Einigungsvertrag nicht zu überfrachten. So sollen unter anderem die Hauptstadtfrage, die Diskussion über eine neue Verfassung und der Länderfinanzausgleich aus dem Vertrag herausgehalten werden. Das bisherige DDR-Recht wollen die Verhandlungsseiten überall dort weiter gelten lassen, wo das Grundgesetz oder EG-Recht dem nicht entgegensteht. Kontroversen gibt es bei der beabsichtigten Umstrukturierung der Bundesländer und der künftigen Verteilung der Stimmen im Bundesrat. Die NATO beendet eine zweitägige Gipfelkonferenz mit der "Londoner Erklärung". Darin heißt es unter anderem: "Mit der Vereinigung Deutschlands wird auch die Teilung Europas überwunden." Dieser Entwicklung trägt das Bündnis Rechnung und formuliert programmatisch: Reform der Allianz, Abkehr von "Vorneverteidigung" und "flexibler Erwiderung", Veränderung der Strategie und Aufbau neuer Strukturen. Die NATO erklärt sich bereit, mit den Staaten der Warschauer Vertragsorganisation (WVO) feierlich zu besiegeln, dass man einander nicht mehr als Gegner betrachtet und einen WVO-Botschafter bei der NATO in Brüssel zu akkreditieren.

7. Juli: In der DDR häufen sich Proteste der Bevölkerung. Das Warenangebot ist unzureichend, ein großer Teil der DDR-Produkte aus den Regalen verschwunden. Zugleich verkauft der Einzelhandel die angebotenen Waren zu überhöhten Preisen. Generell liegt das Preisniveau in der DDR deutlich höher als in der Bundesrepublik. Wer kann, weicht zum Einkauf nach West-Berlin oder in die Bundesrepublik aus. In der Presse wird über Streikbereitschaft bzw. Streiks berichtet: 120.000 Beschäftigte der Metall- und Elektroindustrie treten in einen Warnstreik. Das inzwischen geschaffene DDR-Kartellamt droht mit Bußgeldern für überhöhte Preise bis zu 1 Million DM. Ministerratsvorsitzender Lothar de Maizière fordert den Handel zur Zurückhaltung bei der Preisgestaltung auf.

9. Juli: Durch die Umorientierung der DDR-Verbraucher auf Westprodukte und des Großhandels auf bundesdeutsche Versorger stehen landesweit Produktionslinien still bzw. wird auf Halde produziert, da der Absatzmarkt für ostdeutsche Produkte weggebrochen ist. Löhne und Gehälter können nicht gezahlt werden: Kurzarbeit und Massenentlassungen drohen. Mitte Juli liegt die Zahl der Arbeitslosen in der DDR bei etwa 220.000 Beschäftigten. Von Kurzarbeit sind rund 250.000 Menschen betroffen.

9.-11. Juli: In Houston im amerikanischen Bundesstaat Texas findet der 16. Weltwirtschaftsgipfel der sieben führenden Industrienationen statt. Das zentrale Thema des Gipfels ist die finanzielle Unterstützung des Westens bei der Einführung der Marktwirtschaft in der Sowjetunion bzw. in ganz Osteuropa. Der von Moskau im Vorfeld gewünschte Sofortkredit (15 Milliarden US-Dollar) wird jedoch nicht gewährt, obwohl die Bundesrepublik und Frankreich das sowjetische Begehren unterstützen. In ihrer gemeinsamen Erklärung begrüßen die führenden Industrienationen den historischen Wandel in Europa und den deutschen Vereinigungsprozess. Die zuvor vom Londoner NATO-Gipfel vorgestellten Handlungsgrundsätze sollen die Basis für die künftige Zusammenarbeit der einstigen Gegner bilden. Bush schlägt Gorbatschow ein baldiges Treffen vor. Der Bundeskanzler empfindet das Treffen als Rückenstärkung und Bestätigung seiner bisherigen Politik.

14.-16. Juli: Staatsbesuch von Bundeskanzler Kohl, Außenminister Genscher und Finanzminister Waigel in der Sowjetunion. In Moskau und in Archys, der kaukasischen Heimat von Michail Gorbatschow, wird ein historischer Durchbruch bei der äußeren Absicherung des deutschen Einigungsprozesses erzielt.

Gorbatschow sagt zu, dass Deutschland nach Abschluss der Zwei-plus-Vier-Gespräche die volle Souveränität erhält, nach der Vereinigung Mitglied der NATO bleiben kann und ein vollständiger Abzug der sowjetischen Truppen erfolgt. Gorbatschows spätere Begründung für diesen Positionswandel lautet, dass die Sowjetunion dem deutschen Volk nicht bestreiten konnte, was sie anderen zubilligte: das Recht auf Selbstbestimmung. Deutschland habe aus der Geschichte gelernt. Gleichzeitig spitzt sich die politische und ökonomische Krise der Sowjetunion zu und steigt die Hoffnung, wenn überhaupt dann von Deutschland wirtschaftliche Hilfe bekommen zu können.

17. Juli: Auf der dritten Zwei-plus-Vier-Außenministerkonferenz in Paris wird im Beisein des polnischen Außenministers endgültig Einvernehmen über die deutsch-polnische Grenzfrage erzielt. Danach besteht ein künftiges Deutschland aus der Bundesrepublik, der DDR und Berlin. Nach der Herstellung der deutschen Souveränität, so die Festlegung, werden die deutsche und polnische Regierung in einem bilateralen Vertrag die polnische Westgrenze bestätigen. Die Teilnehmer des Pariser Treffens gehen ferner davon aus, dass nun alle Kernfragen der "äußeren Einheit" gelöst sind und ein abschließendes völkerrechtliches Dokument - vor der "inneren Einheit" - von den Vier Mächten und den beiden deutschen Staaten unterzeichnet werden kann.

19. Juli: In den Zulassungsstellen der Verkehrspolizei herrscht landesweit zum Teil chaotischer Andrang. Die Kfz-Neuanmeldungen haben seit dem 1. Juli sprunghaft zugenommen. In Leipzig etwa wurden seit dem 1. Januar 1990 22.000 Anträge gestellt. Davon erfolgten allein 10.000 Antragsstellungen seit dem 1. Juli 1990.

21. Juli: Die britische Rockgruppe Pink Floyd gibt auf dem Potsdamer Platz in Berlin ein Konzert der Superlative. Vor mehr als 300.000 Besuchern inszeniert sie auf dem ehemaligen Todesstreifen ihr Album "The Wall" aus dem Jahr 1979 als Rockoper.

22. Juli: Mit einer Zweidrittelmehrheit verabschiedet die Volkskammer das Ländereinführungsgesetz. Zum 14. Oktober sollen an Stelle der 15 DDR-Bezirke die fünf neuen Länder Brandenburg, Mecklenburg–Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gebildet und Landtage gewählt werden. Im Hinblick auf die gesamtdeutschen Wahlen kommt es zur Änderung des Parteiengesetzes der DDR. Damit wird der Weg zur Fusion von Parteien in der DDR mit Parteien in der Bundesrepublik frei gemacht.

24. Juli: Die DDR-Regierungskoalition beginnt auseinander zu brechen. Die Liberalen und die SPD fordern angesichts der politisch instabilen Lage im Land den Beitritt zur Bundesrepublik noch vor der gesamtdeutschen Wahl sowie ein einheitliches Wahlgebiet und Wahlrecht (Sperrklauseldiskussion). Die CDU beharrt demgegenüber darauf, dass die Wahl für das gesamtdeutsche Parlament in getrennten Wahlgebieten vollzogen wird und es erst am Tag des ersten Zusammentreffens des neuen Bundestages zum Beitritt kommt. Als keine Einigung erzielt wird, treten die Liberalen aus der Regierungskoalition aus. Die SPD droht mit einem Austritt.

26. Juli:: Die SPD lenkt ein und erklärt ihr Verbleiben in der Regierungskoalition, nachdem die Ausschüsse "Deutsche Einheit" des Bundestages und der Volkskammer sich darauf verständigt haben, dass die gesamtdeutschen Wahlen am 2.12.1990 im einheitlichen Wahlgebiet mit einheitlichem Wahlrecht vollzogen werden.

27. Juli: In Berlin seien mittlerweile 25 Prozent der Grenzmauer abgetragen. Das berichtet Oberst Günter Leo, Kommandeur des Grenzkommandos Mitte, dem Ost-Berliner Oberbürgermeister Tino Schwierzina. Des weiteren seien 65 Prozent der Beobachtungsanlagen, 95 Prozent des Signalzauns und 61 Prozent der Hinterlandmauer demontiert. Um den Abbau weiter zu beschleunigen, sollen ab August zwei weitere Abbaukommandos mit je 100 Grenzern eingesetzt werden.

30. Juli: In Ost-Berlin legen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und Staatssekretär Günther Krause ein Rahmenkonzept für einen gesamtdeutschen Wahlvertrag vor.

In einer Vorlage des Bundeskanzleramtes für den Bundeskanzler zur Wirtschaftslage der DDR wird resümiert: "Die DDR befindet sich jetzt - wie 1948 die Westzonen - auf einer Durststrecke bei der Überwindung des Erbes aus der Vergangenheit. Dank massiver öffentlicher und privater Hilfe von hier und insgesamt vernünftigen Verhaltens der Verbraucher bestehen aber günstige Voraussetzungen auf spürbare Besserung." In der DDR-Regierung schätzt man die Lage derweil dramatisch ein: Es wird befürchtet, dass die DDR das laufende Jahr weder wirtschaftlich noch finanziell überleben kann.

 

August 1990

Zwischenlager für Mauerreste bei Heinersdorf südlich von Berlin-Steglitz

1. August: Einer Übersicht des DDR-Abrüstungs- und -Verteidigungsministeriums zufolge sind mit Stand vom 1. August in Berlin mit 16,2 von insgesamt 98,6 km der Grenzmauer und 118 von 215 Beobachtungstürmen und Führungsstellen weniger Grenzsicherungsanlagen abgebaut worden als bisher angegeben.

Im Stadtbezirk Mitte sind die Abrissarbeiten am weitesten fortgeschritten; hier soll die Mauer bis Ende August fast vollständig verschwinden. An der innerdeutschen Grenze sind von den vorderen Grenzsicherungsanlagen erst 97,7 km (von insgesamt 1.256,5 km Mauer und Zaun), von den hinteren immerhin 383,7 km (von insgesamt 1.219,3 km Grenzsignal- und Sperrzaun) demontiert; 77 der 501 Beobachtungstürme und Führungsstellen sind abgebaut.

0Weil die DDR kurz vor dem ökonomischen Kollaps steht, fliegen Ministerratsvorsitzender Lothar de Maizière und Staatssekretär Günther Krause kurz entschlossen zu Bundeskanzler Helmut Kohl, der gerade seinen Urlaub am Wolfgangsee in Österreich verbringt.

Die DDR könne wirtschaftlich jeden Tag zusammenbrechen, die Regierung stecke in einer tiefen politischen Krise, so ihre Botschaft. Die 14 Milliarden DM, die zur Stützung der DDR im 1. Staatsvertrag für das Jahr 1990 vorgesehen seien, reichten bei weitem nicht aus. Es würden vielmehr 80 bis 85 Milliarden DM pro Jahr, vielleicht auch noch mehr gebraucht. Das Land drohe im Chaos zu versinken. Es seien deshalb umgehend klare Positionen in Sachen Beitritts- und Wahltermin notwendig.

Nach dem Abschluss der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen, so de Maizière, werde er "die Volkskammer nicht mehr festhalten können." Es werde unweigerlich zur Selbstauflösung und zum sofortigen Beitritt kommen. Zurück in Ost-Berlin, gibt Lothar de Maizière am 3. August auf einer Pressekonferenz bekannt, dass die gesamtdeutschen Wahlen auf den Termin der DDR-Landtagswahlen am 14. Oktober 1990 vorgezogen würden. Zuvor solle die Volkskammer den Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes erklären. Den Besuch bei Kohl empfindet de Maizière als persönliche Niederlage und bezeichnet ihn später als "Canossa-Gang".

3. August: Vom 1. bis zum 3. August läuft parallel zu den Verhandlungen über einen Wahlstaatsvertrag auch die zweite Verhandlungsrunde über den Vertrag zur Herstellung der deutschen Einheit (Einigungsvertrag). Der erste Entwurf eines Einigungsvertrages liegt am 6. August 1990 vor.

Der Wahlstaatsvertrag wird kurz nach der Bekanntgabe des vorgezogenen Termins für gesamtdeutsche Wahlen unterzeichnet. Nach diesem Vertrag erstreckt sich nun der Geltungsbereich des Bundeswahlrechts auch auf das Gebiet der DDR. Es ist eine einheitliche fünfprozentige Sperrklausel vorgesehen; die Zahl der Bundestagsmitglieder soll sich von 518 auf 656 Abgeordnete erhöhen. Es werden sogenannte Listenverbindungen von nicht miteinander konkurrierenden Parteien (Huckepackverfahren) zugelassen. Über den Wahlvertrag und den vorgezogenen Wahltermin muss noch in der Volkskammer und im Bundestag abgestimmt werden.

5. August: In der DDR werden neue Wahlbündnisse gebildet bzw. es vereinigen sich Parteien der beiden deutschen Staaten: Bündnis 90, die Grünen der DDR und die Grünen der Bundesrepublik schließen sich zu einem Wahlbündnis zusammen; daneben entsteht die Listenvereinigung Linke Liste/PDS. Am 11./12. August vereinigen sich die liberalen Parteien der DDR und bilden mit der FDP der Bundesrepublik die erste gesamtdeutsche Partei, die "Freie Demokratische Partei – Die Liberalen".

Auf einer Gedenkveranstaltung zum 40. Jahrestag der Verkündung der Charta der Vertriebenen in Bad Cannstatt bekräftigen Bundeskanzler Helmut Kohl und andere Politiker von CDU/CSU die Endgültigkeit der polnischen Westgrenze. Das trägt Kohl Pfui-Rufe und Pfiffe der Vertriebenen ein.

8./9. August: Die Volkskammer lehnt den bereits am 17. Juni von der DSU eingebrachten Antrag auf sofortigen Beitritt der DDR nach Artikel 23 des Grundgesetzes ab. Ein Antrag der SPD, den Beitritt zum 15. September 1990 zu erklären, findet ebenfalls keine Mehrheit. Die Fraktion CDU/DA beantragt schließlich, dass die Verfassungsorgane der Bundesrepublik die Möglichkeit prüfen sollen, ob die Entscheidungshoheit über den Beitritts- und Wahltermin dem Bundestag übertragen werden kann. Mit anderen Worten: Die Volkskammer soll dem Bundestag die Entscheidung überlassen. Die Sondersitzung der Volkskammer dauert bis in die frühen Morgenstunden des 9. August. Als die Reihen aller Fraktionen schon deutlich gelichtet sind, findet die Abstimmung über den Wahlvertrag vom 3. August statt. Die erforderliche Zweidrittelmehrheit kommt nicht zustande.

Im Bundestag wird am 9. August heftig über die Vorverlegung des Wahltermins auf den 14. Oktober und die dafür notwendige Grundgesetzänderung gestritten. Die Grünen wollen Verfassungsklage einreichen und sprechen von einem "politischen Skandal". Die Sozialdemokraten, die ihre Wahlvorbereitungen auf den 2. Dezember ausgerichtet haben, fühlen sich getäuscht und als Opfer eines Komplotts. Bei der Abstimmung über den vorgezogenen Wahltermin wird die erforderliche Zweidrittelmehrheit nicht erreicht. Als Konsequenz beschließt das Bundeskabinett am 10. August, dass der 2. Dezember als Wahltermin bestehen bleiben soll. Einigkeit herrscht aber darüber, dass die DDR der Bundesrepublik möglichst bald nach Artikel 23 beitreten soll.

13. August: In Berlin gedenken der Senat und der Magistrat in einer gemeinsamen Veranstaltung der Opfer der Mauer.

14. August: Nachdem das DDR-Finanzministerium am 10. August einen Nachtragshaushalt in Höhe von 10 bis 12 Milliarden DM anmelden musste, nimmt die DDR bei einem Konsortium von 18 bundesdeutschen Banken einen Kredit in Höhe von acht Milliarden DM auf.

16. August: Aufgrund anhaltender Meinungsverschiedenheiten über die Wirtschaftskrise entlässt Ministerratsvorsitzender Lothar de Maizière mit sofortiger Wirkung folgende Minister: Walter Romberg (Finanzen; SPD), Peter Pollack (Ernährung, Land- und Forstwirtschaft; parteilos für die SPD) sowie Gerhard Pohl (Wirtschaft, CDU). Letzterer geht auf eigenem Wunsch. Die Entlassungen begründet de Maizière damit, dass bei der Umsetzung des 1. Staatsvertrages schwere Fehler bei der Wirtschafts-, Finanz und Landwirtschaftspolitik gemacht worden seien. Pollack wirft er Konzeptionslosigkeit vor. Außerdem wird Justizminister Kurt Wünsche (parteilos, früher LDP) wegen seiner blockpolitischen Vergangenheit entlassen. Wünsche war schon unter dem SED-Chef Walter Ulbricht Justizminister und stand deshalb seit Längerem im Kreuzfeuer der öffentlichen Kritik. Er reicht wie Pohl seinen Abschied ein. Die Aufgaben der Minister werden von Staatssekretären wahrgenommen.

19. August: Die DDR-Regierungskrise spitzt sich weiter zu. Als Reaktion auf die Kabinettsumbildung beschließt die SPD-Fraktion, dass sich alle ihre Minister und Staatssekretäre aus der Regierung de Maizière zurückziehen sollen. Diese Entscheidung wird am 20. August von den betroffenen Ministern verkündet. Regine Hildebrandt (Arbeit und Soziales), Frank Terpe (Forschung und Technologie), Sibylle Reider (Handel und Tourismus), Emil Schnell (Post) und Markus Meckel (Auswärtige Angelegenheiten) treten zurück. Die Amtsgeschäfte werden von Ministerpräsident de Maizière (übernimmt Außenministerium), Gesundheitsminister Kleditzsch (übernimmt Arbeit und Soziales), Bildungsminister Meyer (übernimmt Forschung und Technologie) sowie neu ernannten Staatssekretären weitergeführt. Ohne die SPD verfügt die Regierung de Maizière in der Volkskammer nicht mehr über die erforderliche Zweidrittelmehrheit zur Verfassungsänderung und damit zur Verabschiedung des Einigungsvertrages.

20. August: Im Auftrag von Ministerpräsident Lothar de Maizière sind in den zurückliegenden Wochen immer wieder auf deren Bitten hin Mauersegmente an Einrichtungen im In- und Ausland verschenkt worden, so etwa an das Haus der Geschichte in Bonn, das Museum Haus am Checkpoint Charlie, das Deutsche Historische Museum, aber auch an die Regierung Lettlands, die Allunion der bildenden Künstler der Russischen Sowjetrepublik oder das Bundesland Bayern. Auch die John F. Kennedy Library gehört zu den Begünstigten. Sie erhält das Mauersegment A 8 – versehen mit einem Echtheitszertifikat.

Um die DDR-Regierung von solchen Anfragen zu entlasten, erhalten mit dem heutigen Tag die DDR-Grenztruppen die Entscheidungsbefugnis über die kostenlose Vergabe von Mauersegmenten. Als Entscheidungshilfe wird ihnen vom Abrüstungsministerium genannt: "Handelt es sich eindeutig um eine gemeinnützige und nichtkommerzielle Nutzung von Mauerteilen wie zum Beispiel ständige Ausstellungen, Aufstellung in Museen oder ähnliches und entstehen dadurch für die Rekultivierungsformationen des Ministeriums für Abrüstung und Verteidigung keine zusätzlichen Kosten, ist grundsätzlich positiv über eine unentgeltliche Übergabe von Mauerteilen zu entscheiden."

Nach nur fünf Wochen Amtszeit tritt Reiner Gohlke, ehemals Chef der Deutschen Bundesbahn, von seinem Posten als Präsident der Treuhandanstalt zurück. Gohlke nennt als Gründe das "Chaos" in der DDR-Wirtschaft, die großen Schwierigkeiten bei der Privatisierung und interne Differenzen. Bis zum Rücktritt Gohlkes haben sich lediglich für 15 DDR-Unternehmen Käufer gefunden. Nachfolger wird der Jurist, Sozialdemokrat und Sanierungsspezialist Karsten Rohwedder, dem es schließlich gelingt, die Treuhand im Herbst 1990 arbeitsfähig zu machen.

In Bonn beginnt die dritte Verhandlungsrunde über den Einigungsvertrag. Die SPD-nahe "Frankfurter Rundschau" hat zwei Tage zuvor "das Scheitern des Vertrages" vorhergesagt. Wichtige Punkte wie die Zustimmung der Volkskammer zum Wahlvertrag sind noch immer offen.

21. August: Der nun in Personalunion agierende Ministerpräsident und Außenminister Lothar de Maizière versucht, mit den Spitzen der Volkskammerfraktionen den Beitritt der DDR zum 14. Oktober zu vereinbaren. Sein Vorstoß scheitert am Veto der SPD-Fraktion, die am 15. September als Beitrittstermin festhält. Dagegen sind auch Bündnis 90/Grüne und die PDS. Innerhalb der SPD-Fraktion kommt es zum Streit über den Beitrittstermin. SPD-Fraktionschef Richard Schröder erklärt aufgrund der parteiinternen Konflikte seinen Rücktritt. An seine Stelle tritt der SPD-Vorsitzende Wolfgang Thierse.

22. August: Bundeskanzler Helmut Kohl telefoniert mit dem amerikanischen Präsidenten George Bush. Bei diesem Gespräch spielt die deutsche Einheit kaum noch eine Rolle. Es geht um militärische Fragen, die mit der am 2. August erfolgten Besetzung Kuwaits durch den Irak zu tun haben.

22./23. August: In der DDR-Volkskammer wird erneut über den Wahlvertrag diskutiert. Der PDS-Vorsitzende Gregor Gysi kritisiert das Vorgehen: "Ich empfinde es als eine Missachtung, wenn ein gleiches Gesetz wieder vorgelegt wird, nur in der Hoffnung, dass mehr Abgeordnete anwesend sind und deshalb eine Mehrheit erreicht würde, die beim letzten Mal nicht erreicht worden ist." Gysis Forderung nach Neuverhandlung des Wahlvertrages wird abgelehnt. Bei der namentlichen Abstimmung erhält der Wahlvertrag im zweiten Anlauf schließlich die erforderliche Zweidrittelmehrheit. Am Tag darauf verabschiedet der Bundestag das Wahlgesetz für die gesamtdeutschen Wahlen und am 24. August gibt der Bundesrat seine Zustimmung zum Wahlvertrag.

Nach der Abstimmung zum Wahlvertrag beantragt Regierungschef Lothar de Maizière die Einberufung einer Sondertagung der Volkskammer. Es soll über den Antrag der DSU auf sofortigen Beitritt und der Antrag der Fraktion CDU/DA über einen Beitritt am 14. Oktober abgestimmt werden. Die Sitzung wird noch für den gleichen Abend, 21.00 Uhr, einberufen. Der Antrag der DSU wird abgelehnt und der Antrag der CDU/DA dahingehend verändert, dass nun der Beitritt mit Wirkung vom 3. Oktober 1990 vollzogen werden soll. Diesem Abänderungsantrag schließen sich CDU/DA, FDP und SPD an.

In der nächtlichen Abstimmung – es ist schon der 23. August – beschließt die Volkskammer mit 294 zu 62 Stimmen "den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes mit der Wirkung vom 3. Oktober 1990." Gleich nach der Verkündung des Abstimmungsergebnisses, um 2.47 Uhr, gibt der PDS-Vorsitzende Gregor Gysi eine persönliche Erklärung ab: "Frau Präsidentin! Das Parlament hat soeben nicht mehr und nicht weniger als den Untergang der Deutschen Demokratischen Republik zum 3. Oktober 1990 (stürmischer Jubel bei CDU/DA, DSU und zum Teil bei der SPD) beschlossen." Die Volkskammersitzung wird um 3.00 Uhr morgens geschlossen.

Im Bundestag gibt Bundeskanzler Helmut Kohl eine Regierungserklärung zum Beitrittsbeschluss der Volkskammer ab. Kohl betont, dass die Volkskammer mit ihrem Abstimmungsergebnis nun alle in die Pflicht genommen hat: "Der heutige Tag ist ein Tag der Freude für alle Deutschen."

Genau genommen wäre ein Einigungsvertrag gar nicht mehr nötig, da mit dem Beitritt der DDR das bundesdeutsche Recht per Überleitungsgesetz in Kraft gesetzt werden könnte. Beide Seiten sind sich aber einig, dass die noch offenen Probleme aus politisch-psychologischen Gründen gelöst werden sollen.

Die Volkskammer beschließt, dass - anders als im Einigungs-Vertragsentwurf vorgesehen – die Akten der Staatssicherheit auf dem Gebiet der DDR gelassen werden sollen. Grundsätzlich wird die Vernichtung der Akten verboten. Jeder Bürger soll das Recht auf Auskunft, nicht aber auf persönliche Einsichtnahme in die Akten haben.

Bundeskanzler Helmut Kohl spricht vor der CDU/DA-Fraktion der Volkskammer in Ost-Berlin. Er ist sichtlich bewegt und fordert die Abgeordneten auf, Kurs zu halten. Die CDU dürfe keine Politik betreiben, bei der man sich nach dem Wind drehe; wer "Hahn auf dem Kirchturm sein wolle", so der Kanzler, müsse "jeden Wind ertragen."

30./31. August: Gegen 16.30 Uhr beginnt in Bonn die vierte Verhandlungsrunde zum Einigungsvertrag. In der Abtreibungsfrage wird der Kompromiss erzielt, das bisherige unterschiedliche Recht in beiden deutschen Staaten für zwei Jahre beizubehalten und in dieser Zeit eine Lösung zu finden. Bei Eigentumsfragen soll der Grundsatz "Rückgabe vor Entschädigung" gelten. Am 31. August, um 2.08 Uhr morgens, wird der Einigungsvertrag paraphiert. Die beiden Regierungskabinette billigen den Vertrag am Vormittag. Am Mittag unterzeichnen die beiden Verhandlungsführer Wolfgang Schäuble und Günther Krause im Ost-Berliner Kronprinzenpalais den letzten, rund 1.000 Seiten umfassenden, deutsch-deutschen Vertrag.

September 1990

Besiegelt: Am 12. September 1990 wird der Zwei-plus-Vier-Vertrag in Moskau unterzeichnet

4. September: "Das Gesetz über den Umgang mit den Stasi-Daten vom 24.8.1990 muss in vollem Umfang Bestandteil des Einigungsvertrages werden": Um dieser Forderung Gehör zu verschaffen, besetzen DDR-Bürgerrechtler am 4. September 1990 mehrere Räume in der ehemaligen Zentrale der DDR-Staatssicherheit. Damit protestieren sie gegen die im Einigungsvertrag getroffene Regelung, derzufolge die Aufbewahrung, Nutzung und Sicherung der MfS-Unterlagen aufgrund der erheblichen Eingriffe in bundesdeutsche Grundrechtspositionen nach der Vereinigung gesetzlich umfassend neu festgelegt werden sollen.

5. September: Im Bundestag findet die erste Lesung des Einigungsvertrages statt. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble betont in seiner Rede, dass der Einigungsvertrag aufgrund seiner Regelungsbreite und der vorgenommenen rechtlichen Vereinheitlichungen in der Rechtsgeschichte "ohne Beispiel" ist.

6. September: In Anwesenheit von Bundespräsident Richard von Weizsäcker behandelt die Volkskammer den Einigungsvertrag in erster Lesung. Ministerpräsident Lothar de Maizière hebt in seiner Einschätzung des Vertragswerkes vom 31. August unter anderem hervor, dass es hinsichtlich der Akten der Staatssicherheit inzwischen schon Gespräche und Absprachen in Form eines Briefwechsels gegeben hat. Die Nachbesserungen ("Präzisierungen") bezeichnet er als "zufriedenstellende" Lösung.

Die Bürgerrechtler dagegen empfinden die zwischen Bonn und Berlin ausgehandelten Nachbesserungen als unbefriedigend und setzen ihre Protestaktion fort. Obwohl DDR-Innenminister Peter-Michael Diestel den Stasi-Besetzern mit Anklagen wegen Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung und Siegelbruch droht, kommt es landesweit zu Solidaritätsbekundungen. In Erfurt, Leipzig, Dresden und Rostock werden ebenfalls Mahnwachen organisiert.

10. September: Der Termin für die Unterzeichnung des Zwei-plus-Vier-Vertrages durch die Außenminister der beteiligten Staaten ist für den 12. September in Moskau festgelegt, doch noch wird zwischen Bonn und Moskau heftig um den Preis gefeilscht. Der sowjetische Partei- und Staatschef Michail Gorbatschow hat am 7. September in einem Telefonat mit Bundeskanzler Helmut weitere finanzielle Kompensationen verlangt. 11 bis 12 Mrd. DM, so Bundeskanzler Helmut Kohl, sei die Bundesregierung bereit, für Stationierung, Abzug und Unterbringung der sowjetischen Streitkräfte zu zahlen.

Doch Michail Gorbatschow fordert 15 bis 16 Mrd. DM. Und wenn die Bundesregierung auf die sowjetischen Forderungen nicht eingehe, droht der KPdSU-Chef, "müsse nun praktisch noch einmal alles von Anfang an verhandelt werden." Das Scheitern der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen vor Augen, erhöht Kohl an diesem Tag das Angebot um einen zinslosen 3-Mrd.-DM-Kredit. Erst jetzt ist das letzte Hindernis beseitigt und die sowjetische Unterschrift unter den Zwei-plus-Vier-Vertrag gesichert.

12. September: In Moskau unterzeichnen die Außenminister der Bundesrepublik, der DDR und der Vier Mächte den "Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland”. Darin verzichten die Besatzungsmächte auf ihre mit dem Zweiten Weltkrieg verbundenen Rechte und Verantwortlichkeiten in Berlin und in Deutschland als Ganzes. Deutschland erhält die souveränen Rechte über seine inneren und äußeren Angelegenheiten, bestätigt den endgültigen Charakter seiner Grenzen und verpflichtet sich unter anderem, keine Angriffskriege zu führen und die Bundeswehr auf eine Personalstärke von 370.000 Mann zu verringern. Daneben wird der Abzug der 350.000 Soldaten der Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte bis 1994 vereinbart.

Dem Vertrag wird ein Brief der beiden deutschen Regierungen an die vier Siegermächte beigefügt. Darin bestätigen die beiden deutschen Außenminister die Gültigkeit der besatzungsrechtlichen Enteignungen zwischen 1945 und 1949, den Denkmalschutz für die Opfer des Krieges und der Gewaltherrschaft sowie die Anpassung völkerrechtlicher Verträge der DDR im Sinne der Interessen der beteiligten Staaten.

Der amtierende DDR-Außenminister und Ministerpräsident Lothar de Maizière gibt in Moskau eine Erklärung zum Vertragsabschluss ab. Zeitgleich mit der Unterzeichnung in Moskau äußert sich auch Bundeskanzler Kohl in der Sitzung des Bundeskabinetts zum Vertragsabschluss in Moskau.

In Ost-Berlin tagt der DDR-Ministerrat. Alle Beschlüsse dieser Sitzung können noch in den Einigungsvertrag einfließen. Einer der Tagesordnungspunkte ist das Nationalparkprogramm, dem ein neues Naturlandschaftskonzept zugrunde liegt. Der Staatssekretär des Landwirtschaftsministeriums moniert, dass keine Zeit gewesen sei, die Vorlage für das Nationalparkprogramm zu beurteilen. Kurzer Hand wird der Tagesordnungspunkt gestrichen. Es gelingt jedoch, diese Entscheidung rückgängig zu machen. Das Nationalparkprogramm bleibt auf der Tagesordnung. Die Ministerratssitzung endet dennoch ohne einen Beschluss über das Programm, da der Umweltminister in der Volkskammer den Beschäftigten des Unternehmens SERO, Glas-, Rohstoff- und Papierrecycling, Rede und Antwort stehen muss. Bei seiner Rückkehr geht der Ministerrat gerade auseinander. Es gelingt ihm noch einmal, alle Minister zu versammeln und das Nationalparkprogramm in buchstäblich letzter Sekunde verabschieden zu lassen. So können 10 Prozent der Fläche der DDR zu Nationalparks, Biosphärenreservate oder Naturparks erklärt werden. Das Hamburger Nachrichtenmagazin "Spiegel" bezeichnet das Ganze als einen "weltweit einmaligen Ökodeal" und der damalige Bundesumweltminister erklärt die im Nationalparkprogramm unter Schutz gestellten Landschaften wenig später zum "Tafelsilber der deutschen Vereinigung".


Da hinsichtlich des Umgangs mit den Staatssicherheits-Akten noch immer keine Einigung erzielt worden ist und die Umsetzung der Regelungen des Gesetzes vom 24. August nach wie vor nicht garantiert wird, treten die Besetzer in der Normannenstraße in den Hungerstreik. Jens Reich, Mitbegründer des Neuen Forum, erklärt in einem Interview: "Das Gesetz ist sehr detailliert von dem Ausschuss der Volkskammer ausgearbeitet worden. Ich halte das für unmöglich, dass mit ein paar dahin gewischten Bemerkungen aus Bonn bessere Lösungen kommen können. Das ist unsere schmutzige Wäsche und unser Mief – den müssen wir selber ausräumen."

18. September: Die beiden Verhandlungsführer des Einigungsvertrages, Wolfgang Schäuble und Günther Krause, unterzeichnen eine Vereinbarung zur Durchführung und Auslegung des Einigungsvertrages vom 31. August. Im Artikel 1 findet sich ein Kompromiss hinsichtlich des weiteren Umgangs mit den MfS-Akten.

Das Verfassungsgericht in Karlsruhe weist eine Klage von acht Bundestagsabgeordneten der CDU/CSU gegen den Einigungsvertrag ab. Mit der Klage wollten die Abgeordneten verhindern, dass die polnische Westgrenze völkerrechtlich endgültig festgeschrieben und damit anerkannt wird.

20. September: In beiden deutschen Parlamenten wird über den Einigungsvertrag abgestimmt. 299 Volkskammer-Abgeordnete stimmen für den Vertrag; es gibt 80 Gegenstimmen und eine Stimmenthaltung. Im Bundestag votieren 440 Abgeordnete für den Einigungsvertrag; es werden 47 Gegenstimmen und drei Stimmenenthaltungen gezählt. Am darauf folgenden Tag stimmt der Bundesrat dem Vertragswerk einstimmig zu. Die Ratifikation des Einigungsvertrages durch den Bundespräsidenten erfolgt am 23. September 1990.

In der Volkskammer sorgen die Akten des Staatssicherheitsdienstes weiterhin für Aufregung. Die Besetzer aus der Normannenstraße sind mit dem am 18. September ausgehandelten Kompromiss nicht zufrieden. Es fehlt noch immer eine klare Regelung über den Zugang der Betroffenen zu ihren Akten; zudem wurde die Rehabilitierung der Opfer nicht festgeschrieben. Sechs Besetzern gelingt es, sich Zugang zur Plenardebatte der Volkskammer zu verschaffen und das Podium zu besetzen. Es kommt zu tumultartigen Auseinandersetzungen. Schließlich erhält einer der Besetzer, Reinhard Schult, die Erlaubnis zu sprechen. Er verlangt die sofortige Offenlegung der Verstrickung der Volkskammer-Abgeordneten mit der Staatssicherheit. Es könne nicht sein, so Schult, dass Mitarbeiter und Informanten der Staatssicherheit über den Einigungsvertrag entscheiden. Als einziger offenbart daraufhin der PDS-Abgeordnete Rainer Börner seine Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit.

21. September: Durch Befehl 49/90 des Ministers für Abrüstung und Verteidigung, Rainer Eppelmann, werden die DDR-Grenztruppen mit Wirkung vom 30. September 1990 aufgelöst. Allein die aus Angehörigen der Grenztruppen zum Abriss der Mauer gebildeten Auflösungs- und Rekultivierungskommandos sollen fortbestehen und diese Tätigkeit – ab 2. Oktober in der Zuständigkeit des Bundesministers für Verteidigung – bis zum 1. Dezember 1990 abschließen. 54.260 Schützenwaffen und 3.060 Tonnen Munition sollen zwischengelagert bzw. an die Nationale Volksarmee übergeben werden.

Zukunft nur für den weiteren Abriss von Mauer und Schlagbäumen - die DDR-Grenztruppen haben ausgedient

Im Hinblick auf die Verwertung zehntausender jetzt überflüssiger Uniformen und anderer Bekleidungsstücke hatte sich Abrüstungsminister Rainer Eppelmann schon Tage zuvor hilfesuchend an den Pariser Modeschöpfer Karl Lagerfeld gewandt: "Ich halte es für nicht zu verantworten, diese Werte einfach zu vernichten. Nun kam mir der Gedanke, dass Sie sich diese Bestände einmal anschauen, um dann zu beurteilen, ob Sie irgendeine sinnvolle Verwendung haben", schrieb er Lagerfeld. Doch der scheint mit diesem Modeansinnen überfordert gewesen zu sein, eine Antwort aus Paris ist in den Akten jedenfalls nicht überliefert.

24. September: Der DDR Abrüstungs- und Verteidigungsminister Rainer Eppelmann und der Oberkommandierende der Warschauer Vertragsstaaten, Armeegeneral Pjotr Luschew, unterzeichnen in Ost-Berlin ein Protokoll, in dem der Austritt der DDR aus dem Warschauer Pakt erklärt wird.

In Bonn wird das "Gesetz über die Inkraftsetzung von Vereinbarungen betreffend den befristeten Aufenthalt von Streitkräften der Französischen Republik, der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland und der Vereinigten Staaten von Amerika in Berlin und von sowjetischen Streitkräften auf dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet nach Herstellung der deutschen Einheit" unterzeichnet. Damit werden die Ablösung der alliierten Rechte, die befristeten Truppenaufenthalte und die Berlin-Zuständigkeiten der Vier Mächte konkret geregelt.

26. September: In einem Schreiben an Bundeskanzler Helmut Kohl kritisiert der sowjetische Partei- und Staatschef Michail Gorbatschow die beabsichtigten Prozesse gegen SED-Partei- und Staatsfunktionäre wegen "Landesverrat", "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" und wegen "subversiver Tätigkeit zugunsten eines fremden Staates". Er bezeichnet das Vorgehen gegen SED-Funktionäre als Verfolgung "im Geiste eines primitiven Antikommunismus" und warnt Kohl davor, seine ehemaligen Gegner zu zwingen, "den bitteren Kelch bis zur Neige zu leeren." Kohl möge bedenken, dass die Ratifizierung des Zwei-plus-Vier-Vertrages in Moskau noch ausstehe. Am Ende seines Briefes regt Gorbatschow an, "einen Weg zu finden, um den Eifer derjenigen zu dämpfen, die nicht abgeneigt sind, den ‚Kalten Krieg’ an der innerdeutschen Front zu verlängern."

In Ost-Berlin findet die letzte Tagung des DDR-Ministerrates und der letzte NVA-Wachaufzug vor der Neuen Wache Unter den Linden statt.

27. September: In Berlin vereinigen sich die SPD der Bundesrepublik und die DDR-SPD auf getrennten Parteitagen zur gesamtdeutschen SPD.

28. September: Die letzte Tagung der DDR-Volkskammer findet im Gebäude des früheren SED-Zentralkomitees statt. Am Tage zuvor wurde der ursprüngliche Tagungsort – der Palast der Republik – wegen Asbestverseuchung geschlossen. In der Volkskammer kommt es noch einmal zu heftigen Debatten über die Staatssicherheit. Der Rostocker Pfarrer und Bürgerrechtler Joachim Gauck, Bündnis 90, wird schließlich zum "Sonderbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes" gewählt. Die Bundesregierung sichert zu, dass Gauck auch nach der Vereinigung als Verantwortlicher akzeptiert wird. Zuvor findet eine geschlossene Sitzung statt, auf der Volkskammer-Abgeordnete, darunter Bauminister Axel Viehweger (Bund Freier Demokraten), als inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit enttarnt werden. Fünfzehn Volkskammer-Abgeordnete legen wegen ihrer MfS-Zusammenarbeit ihr Mandat nieder.

Die Besetzer in der Normannenstraße sind mit dem Erreichten zufrieden und beendeten ihre Aktion. In ihrer Schlusserklärung heben die 23 Bürgerrechtler hervor: "Unsere Aktion sollte ein Anstoß für alle BürgerInnen sein, zu jeder Zeit und an jedem Ort durch außerparlamentarisches Treiben Einfluss auf das Geschehen im Land zu nehmen."

29. September: Das Bundesverfassungsgericht bestätigt zum Teil die Verfassungsklage der Republikaner, der Grünen und der Linken Liste/PDS gegen das Wahlgesetz vom 3. August 1990. Sie gibt den Klägern in dem Punkt Recht, dass das Wahlgesetz mit der fünfprozentigen Sperrklausel und dem so genannten "Huckepackverfahren" gegen den Grundsatz der Wahlgleichheit verstößt. Das Gesetz muss überarbeitet und korrigiert werden.

30. September: Die ersten Häftlinge, die unter die am 28. September 1990 von der DDR-Volkskammer beschlossene Teilamnestie fallen, werden freigelassen. In den Strafanstalten war es zuvor zu Häftlingsrevolten gekommen. Mehrere tausend Häftlinge fordern die Überprüfung ihrer Urteile. Nicht wenige Häftlinge sitzen aufgrund fragwürdiger Aussagen und Ermittlungsmethoden der Staatssicherheit im Gefängnis. Aufgrund der Teilamnestie bekommen die Häftlinge ein Drittel ihrer Strafe erlassen. Ausgenommen werden Schwerverbrecher.

Oktober 1990

Berlin, 3. Oktober 1990: Während der Feierlichkeiten zur deutschen Einheit wird am Reichstagsgebäude die Nationalflagge gehisst

1. Oktober: Am Rande der KSZE-Außenministerkonferenz in New York erklären die vier Siegermächte die Aussetzung ("Suspendierung") ihrer Vorbehaltsrechte und Verantwortlichkeiten für Berlin und Deutschland als Ganzes.

Auf dem 38. CDU-Parteitag in Hamburg treten die CDU-Landesverbände der DDR der CDU Deutschlands bei. Helmut Kohl erhält bei der Wahl des Parteivorsitzenden 98,5 Prozent der Stimmen. Kanzlerberater Horst Teltschik vermerkt in seinem Tagebuch: "Ein Traumergebnis! Der verdiente Lohn für eine erfolgreiche Politik der Einigung. Niemand hat so instinktsicher wie er die geschichtliche Chance genutzt und unbeirrt verfolgt." Lothar de Maizière wird mit 97 Prozent der Stimmen zum Stellvertreter Kohls gewählt.

2. Oktober: In Ost-Berlin löst sich die DDR-Volkskammer mit einer Festveranstaltung auf. Die Ständige Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin und die der DDR in Bonn stellen ihre Tätigkeit ein. Die diplomatischen Beziehungen der DDR mit 135 Staaten und "Befreiungsorganisationen" enden. Die Nationale Volksarmee der DDR wird aufgelöst. Die nicht entlassenen Offiziere und Soldaten unterstehen nun Bundesverteidigungsminister Gerhard Stoltenberg. Die Berliner Stadtkommandanten der drei Westmächte gratulieren in einem gemeinsamen Schreiben an den Regierenden Bürgermeister Walter Momper den Bürgern Berlins zum Beginn einer neuen Ära und erklären ihre Aufgabe um Mitternacht für erfüllt und beendet.

Der amerikanische Präsident George Bush richtet anlässlich der bevorstehenden Vereinigung der beiden deutschen Staaten eine Botschaft an das deutsche Volk: "Heute tritt die deutsche Nation in ein neues Zeitalter ein. Ein Zeitalter, um die Worte Ihrer Nationalhymne zu zitieren, von ‚Einigkeit und Recht und Freiheit’. Während wir in diesem feierlichen Augenblick gemeinsam mit Ihnen voller Hoffnung und Zuversicht in die Zukunft blicken, möchte ich im Namen aller Amerikaner sagen: Möge Gott das deutsche Volk schützen."

Berlin, 3. Oktober 1990: Rund eine Million Menschen feiern in Berlin - hier vor dem Brandenburger Tor - die Wiedervereinigung.

Um 21.00 Uhr beginnt im Schauspielhaus in Berlin der Festakt zur Vereinigung ("Fest der Einheit"). Zu den Gästen zählen Bundespräsident Richard von Weizsäcker und Bundeskanzler Helmut Kohl. Unter der Leitung von Kurt Masur erklingt die 9. Symphonie von Ludwig van Beethoven. Ministerpräsident Lothar de Maizière und Bundeskanzler Helmut Kohl wenden sich über Rundfunk und Fernsehen an die Bevölkerung.

Soziale Unsicherheit, neue Lebensumstände und Rechtsgrundlagen vermitteln vielen DDR-Bürgern das Gefühl, dass sie einer schwierigen Zeit entgegengehen. Zugleich empfinden viele, dass die Vereinigung überstürzt herbeigeführt wurde.

3. Oktober: Um Mitternacht wird der Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes wirksam. Die offizielle Feier mit Feuerwerk findet im Beisein der höchsten Vertreter der Bundesrepublik und der ehemaligen DDR sowie Hunderttausender Menschen vor dem Berliner Reichstag statt. Unter den Klängen der Nationalhymne wird um 0.00 Uhr die Bundesflagge gehisst. Die Bundesrepublik zählt nun insgesamt 78,7 Millionen Einwohner. Das Staatsgebiet hat sich um rund 108.000 auf 357.000 Quadratkilometer vergrößert.

Auch Berlin ist wieder vereint. Das Besatzungsstatut ist erloschen. In beiden Teilen der Stadt besteht nach dem 1. Mantelgesetz vom 25. September 1990 weitgehende Rechtseinheit. Bis zu den Wahlen am 2. Dezember 1990 wird die Stadt von Senat und Magistrat gemeinsam regiert. Bundeskanzler Helmut Kohl richtet zum Tag der Einheit eine Botschaft an alle Regierungen der Welt, mit denen das vereinte Deutschland diplomatische Beziehungen unterhält.

In der Berliner Philharmonie findet auf Anordnung von Bundespräsident Richard von Weizsäcker ein Staatsakt statt. Die Eröffnungsrede hält die ehemalige Präsidentin der DDR-Volkskammer Sabine Bergmann-Pohl. Es folgen Ansprachen der Bundestagspräsidentin, des Regierenden Bürgermeisters von Berlin und des Bundespräsidenten.

4. Oktober: Im Berliner Reichstagsgebäude konstituieren sich Bundestag und DDR-Volkskammer zum gesamtdeutschen Bundestag. Fünf Minister der ehemaligen DDR-Regierung werden als "Minister für besondere Aufgaben" (Lothar de Maizière, Sabine Bergmann-Pohl, Günther Krause/alle CDU, Rainer Ortleb/FDP und Hansjoachim Walther/DSU) vereidigt und in die Bundesregierung aufgenommen.

Bundeskanzler Helmut Kohl gibt eine Erklärung zu den Grundsätzen der Politik der ersten gesamtdeutschen Regierung ab. Er begründet dabei noch einmal das eingeschlagene Tempo der Vereinigung und gibt zu bedenken: "Die Wahrheit ist – dies muss angesprochen werden -, dass wir, wenn wir die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion am 1. Juli nicht eingeführt hätten, bis zum heutigen Tag ungefähr eine Million Übersiedler aus der DDR in der Bundesrepublik gehabt hätten und dass diese Entwicklung zu katastrophalen Verwerfungen in der Gesellschaft der Bundesrepublik wie in jener DDR geführt hätte."

5. Oktober: Im Bundestag wird über eine überarbeitete Fassung des Wahlgesetzes abgestimmt. Es sieht nunmehr vor, dass die Fünf-Prozent-Klausel nun in getrennten Wahlgebieten (altes und neues Bundesgebiet) gilt; in den neuen Bundesländern besteht zudem die Möglichkeit der Listenvereinigung für Parteien und andere politische Vereinigungen. Das überarbeitete Wahlgesetz wird angenommen. Am 8. Oktober stimmt auch der Bundesrat dem Wahlgesetz zu. Darüber hinaus billigt der Bundesrat auch den Zwei-plus-Vier-Vertrag vom 12. September 1990.

Im Oktober schließen die Bundesregierung und die Regierung der Sowjetunion ein Abkommen

12. Oktober: Die Bundesregierung und die Regierung der Sowjetunion schließen ein "Abkommen über einige überleitende Maßnahmen" ab. Darin werden unter anderem die Aufenthaltskosten der sowjetischen Truppen in Deutschland, finanzielle Hilfen für den Truppenabzug, die Unterstützung des Wohnungsbaus in der Sowjetunion, Hilfen bei Ausbildung und Umschulungen, Auszahlungsmodalitäten, der Umgang mit sowjetischen Liegenschaften in Deutschland und die Einstellung der Uranproduktion geregelt. Drei Tage später, am 12. Oktober, folgt der "Vertrag über die Bedingungen des befristeten Aufenthalts und die Modalitäten des planmäßigen Abzugs der sowjetischen Truppen aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland."

Attentat auf Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble während einer Wahlkampfveranstaltung im südbadischen Oppenau: Die durch die Schüsse herbeigeführten lebensgefährlichen Verletzungen haben eine Querschnittslähmung des Ministers zur Folge. Es ist das zweite Attentat auf einen bundesdeutschen Politiker binnen eines Jahres. Am 25. April 1990 war SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine durch Messerstiche schwer verletzt worden.

14. Oktober: Nach gut vier Jahrzehnten finden in den fünf neuen Bundesländern die ersten freien Landtagswahlen statt. Die CDU stellt in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, die SPD in Brandenburg die stärkste Fraktion.

19. Oktober: Wegen des Verdachts unrechtmäßiger Geldtransfers durchsucht die Polizei in Berlin die Räume der PDS-Zentrale. Am 22. Oktober lässt die Treuhandanstalt Konten der PDS in Oslo und Utrecht sperren, auf die allein im September und Oktober 1990 107 Millionen DM geflossen sind. Am 26. Oktober wird PDS-Schatzmeister Wolfgang Pohl verhaftet. Am Tag darauf stellt der Parteivorsitzende Gregor Gysi im PDS-Parteivorstand die Vertrauensfrage. Gysi wird im Amt bestätigt. Der Parteivorstand fasst den Beschluss, dass sich die PDS von dem Teil ihres Vermögens trennt, das nicht unbedingt für die politische Arbeit und zur Erfüllung der Verpflichtungen benötigt wird.

23.-28. Oktober: In den nach den Wahlen vom 14. Oktober gebildeten neuen Bundesländern konstituieren sich die Landtage.

27. Oktober: Der Chef der Treuhandanstalt, Detlev Rohwedder, stellt in Aussicht, dass bis zum Jahresende 500 der insgesamt 8.000 ehemals volkseigenen Betriebe verkauft sein werden. Seit dem Beginn seiner Amtszeit am 20. August sind für rund 200 Betriebe private Anteilseigner gefunden worden. Inzwischen sei auch das ausländische Interesse an den ehemaligen DDR-Betrieben gewachsen. Aus den USA, Frankreich und Japan lägen zahlreiche Anfragen von Unternehmen und Banken vor. Die Treuhandanstalt, so Rohwedder, stehe vor einer "Aufgabe von nahezu furchterregender Dimension". Er beklagt die "äußerst zähe Symbiose" bundesdeutscher Unternehmer und Manager mit den vielfach noch alten DDR-Betriebsleitungen.

31. Oktober: Mit dem Inkrafttreten des Einigungsvertrages hat das Bundesministerium für Verteidigung den Auftrag erhalten, den Abriss der Mauer fortzusetzen. Die Leitung dafür wie für die Auflösung der Grenztruppen ist Oberst Rolf Ocken übertragen. Etwa 3.000 Soldaten und Zivilbeschäftigte der DDR-Grenztruppen werden für den vollständigen Abbau der Grenzanlagen an den innerdeutschen und Berliner Grenzen und die Rekultivierung der beräumten Flächen in eine "Organisation zum Abbau der Sperranlagen im beigetretenen Teil Deutschlands" übernommen.

In der zweiten Oktoberhälfte werden alle für den Abriss verfügbaren Kräfte (auch von der innerdeutschen Grenze) auf das Berliner Stadtgebiet konzentriert. Die Mauer soll, so die Zielstellung von Oberst Rolf Ocken, in den bewohnten Gebieten bis zum 30. November und im Stadtgebiet bis Ende Dezember komplett beseitigt sein. Ende Oktober sind 75,3 Prozent der Grenzmauer (24,4 von 32,4 km) und 57 Prozent der Hinterlandmauer (21,2 von 37,2 km) beräumt.

November 1990

Vordere Grenzmauer in der Niederkirchner Straße in Berlin-Mitte

Anfang November: Im innerstädtischen Bereich von Berlin ist die Mauer weitgehend aus dem Stadtbild verschwunden; Ende des Monats wird in Berlin-Pankow in Anwesenheit von Bundeswehrgeneral Hasso von Uslar und von lokaler Politprominenz der Abriss des letzten innerstädtischen Mauerabschnitts in Angriff genommen.

Nur wenige hundert Meter sind unter Denkmalschutz gestellt worden und heute noch zu besichtigen; nur drei der einstmals über 100 Wachtürme bleiben im innerstädtischen Bereich erhalten.

Beobachtungsturm der DDR-Grenztruppen nahe der Stresemannstraße in Berlin-Mitte

9. November: In Berlin konstituieren die Vertreter aller 16 Bundesländer am Jahrestag des Mauerfalls den ersten gesamtdeutschen Bundesrat. Zuletzt hatte der Bundesrat 1959 in Berlin getagt.

9./10. November: Staatsbesuch des sowjetischen Partei- und Staatschefs Michail Gorbatschow in der Bundesrepublik. Es wird der im September paraphierte deutsch-sowjetische Grundlagenvertrag unterzeichnet. Zudem schließen Gorbatschow und Bundeskanzler Kohl Abkommen über die Entwicklung einer umfassenden Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Wirtschaft, Industrie, Wissenschaft, Technik sowie des Arbeits- und Sozialwesens ab.

Zum Grundlagenvertrag über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit erklärt Bundeskanzler Kohl, dass damit beide Staaten einen Schlussstrich unter die leidvollen Kapitel der Vergangenheit gezogen hätten und nun der Weg für einen Neubeginn frei sei.

Gorbatschow stimmt dem Kanzler zu: "Indem wir dieses Dokument, an welches man noch vor kurzem kaum zu denken wagte, mit unseren Unterschriften versehen haben, haben wir offiziell einen Schlussstrich unter den ganzen geschichtlichen Prozess gezogen und eine für uns gemeinsame, in die Tiefe gehende Perspektive aufgezeichnet."

10. November: Als Konsequenz aus den illegalen Geldtransfers verzichtet der PDS-Vorstand – auch im Hinblick auf die unmittelbar bevorstehenden gesamtdeutschen Wahlen – auf 80 Prozent des SED-Parteivermögens. Ausdrücklich wird betont, dass keine Auslandsgelder mehr vorhanden seien bzw. sich solche nicht mehr unter der Kontrolle der PDS befänden.

14. November: In Warschau unterzeichnen die Außenminister der Bundesrepublik und der Republik Polen einen Vertrag, der den Grenzverlauf zwischen beiden Staaten bestätigt.

Beide Vertragsparteien verzichten auf jegliche Gebietsansprüche und erklären, "dass die zwischen ihnen bestehende Grenze jetzt und in Zukunft unverletzlich ist und verpflichten sich gegenseitig zur uneingeschränkten Achtung ihrer Souveränität und territorialen Integrität."

Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die Bestätigung der zwischen ihnen bestehenden Grenze, 14.11.1990Todesstreifen an der Spree mit Hinterlandsicherungsmauer in Berlin-Treptow

 17. November: In Wien werden die Verhandlungen über Vertrauens- und Sicherheitsbildende Maßnahmen (VSBM) mit der Verabschiedung des "Wiener Dokuments 90" beendet. Die teilnehmenden Staaten vereinbaren den jährlichen Austausch militärischer Informationen, die Zusammenarbeit bei gefährlichen militärischen Zwischenfällen, Kontakte verschiedener Art untereinander, die Beobachtung militärischer Aktivitäten, Inspektionen und weitere Maßnahmen zur Verhinderung militärischer Konflikte und Verminderung von Risiken.

19.-21. November: In Paris unterzeichnen die Staats- und Regierungschefs der NATO und der Warschauer Vertragsorganisation die "Gemeinsame Erklärung von 22 Staaten". Darin heben sie feierlich hervor, dass sie "in dem anbrechenden neuen Zeitalter europäischer Beziehungen nicht mehr Gegner sind, sondern neue Partnerschaften aufbauen wollen."

Zugleich findet in Paris das Gipfeltreffen der 34 KSZE-Staaten statt. Es wird die "Charta von Paris für ein neues Europa" verabschiedet. Der erste umfassende Abrüstungsvertrag der europäischen Nachkriegsgeschichte wird unterzeichnet. Der Kalte Krieg wird für beendet erklärt.

 

Dezember 1990

Mauerdenkmal am Griebnitzsee bei Potsdam

1. Dezember: Nachdem die Mauer im Berliner Stadtgebiet fast vollständig verschwunden ist, werden die Abrissarbeiten am Außenring, der jetzt die Grenze zwischen den beiden Ländern Berlin und Brandenburg bildet, fortgesetzt und erst in der zweiten Jahreshälfte 1992 abgeschlossen. 

An der Berlin-Brandenburgischen Grenze ist der Abriss nahezu komplett, es bleiben nur einzelne Mauersegmente und unter anderem einige hundert Meter Streckmetallgitterzaun, vier Führungsstellen, mehrere Dutzend Bogenlampen und einige Kilometer Kolonnenweg erhalten.

Insgesamt sollen beim Abbau der Berliner Grenzsicherungsanlagen 180.000 Tonnen Beton, 6.000 Tonnen Schrott, 15.000 Tonnen Asbest, 3.000 Tonnen Kunststoffe sowie 100 Tonnen Holz, Dämmstoffe u.a. an Abrissmaterialien angefallen sein.

Die Grenzmauer wird mit Hilfe von Schreddern zertrümmert, die nur 20 Sekunden benötigen, um ein Mauersegment in Schotterstücke zu zerkleinern. Die geschredderte Mauer findet als Unterbau für neue Wege und Straßen Verwendung.

Gegen den 78jährigen ehemaligen DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker wird am 1. Dezember Haftbefehl erlassen. Aktenfunde in DDR-Archiven belegen, dass Honecker für den Schießbefehl an der Berliner Mauer und an der innerdeutschen Grenze verantwortlich war. Honecker befindet sich zu diesem Zeitpunkt in sowjetischer Obhut im Militärhospiz Beelitz bei Berlin. Wenig später wird er zusammen mit seiner Frau Margot bei Nacht und Nebel nach Moskau ausgeflogen.

2. Dezember: Im vereinten Deutschland finden die ersten freien gesamtdeutschen Wahlen seit 1933 statt. Die CDU/CSU erreicht fast 44 Prozent der Wählerstimmen. Die SPD kommt landesweit nur auf 33,5 Prozent und die FDP 11 Prozent. Aufgrund der getrennten Fünf-Prozent-Klausel schaffen die PDS mit 11 Prozent und das Bündnis 90/Grüne mit 6 Prozent der Stimmen in den neuen Bundesländern den Einzug in den Bundestag, obwohl die Grünen in den alten Bundesländern mit 4,8 Prozent und die PDS mit 2,4 Prozent an der Sperrklausel scheitern.

15. Dezember: Zum letzten Mal wird die "Aktuelle Kamera", die Nachrichtensendung des DDR-Fernsehens, ausgestrahlt. Die Frequenzen des DDR-Fernsehens gehen an die ARD über.

19. Dezember: Wegen der Vorwürfe, er habe als inoffizieller Mitarbeiter für die Staatssicherheit (Deckname "Czerni") gearbeitet, erklärt der ehemalige Ministerpräsident der DDR, Lothar de Maizière, seinen Rücktritt als Bundesminister für besondere Aufgaben.

20. Dezember: Im Berliner Reichstagsgebäude konstituiert sich das erste frei gewählte gesamtdeutsche Parlament seit 1933. Alterspräsident des 12. Deutschen Bundestages ist der SPD-Ehrenvorsitzende Willy Brandt.

31. Dezember: In seiner Ansprache zum Jahreswechsel führt Bundeskanzler Helmut Kohl aus: "Liebe Landsleute! Das Jahr 1990 wird uns als eines der glücklichsten in der deutschen Geschichte in Erinnerung bleiben. In freier Selbstbestimmung haben wir Deutschen die staatliche Einheit unseres Vaterlandes vollenden können – ohne Gewalt und Blutvergießen, in vollem Einvernehmen mit allen unseren Nachbarn. 

Ein Traum ist in Erfüllung gegangen. Wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass wir heute in einem vereinten Deutschland den Silvesterabend gemeinsam feiern können? Wir haben allen Grund, uns darüber von Herzen zu freuen."

 

Schlusssatz:

08. 12. 2009 - Bundespräsident Horst Köhler ehrt Altkanzler Helmut Kohl (CDU)

Köhler ehrt Kohl Bundespräsident Horst Köhler hat Altkanzler Helmut Kohl (CDU) bei einem Abendessen in Schloss Bellevue als „Kanzler der deutschen Einheit“ und als „großen Europäer“ geehrt. 

„Es hätte auch alles ganz anders kommen können“, sagte Köhler vor 40 geladenen Gästen. 

„Ohne Ihre visionäre Kraft, lieber Helmut Kohl, ohne Ihr standhaftes Festhalten am Kurs, ohne Ihre Entschlossenheit im Handeln, ohne Ihr Geschick in den Verhandlungen, ohne all das hätte die historische Chance leicht verspielt werden können.“

DF Programm
poolalarm Leseproben DDR - Erziehung der Jugend Bücher von Kolbatz Weltfinanzsystem facebook Klaus-Peter Kolbatz twitter "cayberlin" = "Klaus-Peter Kolbatz" Klimaforschung

Wissen Forschung

Burnoutforschung

Hilfe bei der Bundestagswahl News - Wissen

 

 

LITERATUR:

2. Auflage, September 2008, Seiten 184, Burn-out-Syndrom SBN: 978383706521

Hier können Sie die hilfreichsten Kundenrezensionen ansehen....>

Burn-out-Syndrom. - Infarkt der Seele wie ich aus meiner inneren Leere wieder heraus kam - Psychologie & Hilfe. Business & Karriere. 2. Auflage  Klaus-Peter Kolbatz, Book on Demand - 184 Seiten; 2. Auflage; Erscheinungsdatum: 2008, ISBN: 9783837065213;

 

"Kapitalverbrechen an unseren Kindern" - "Das Geschäft mit der Zerstörung " -. Klaus-Peter Kolbatz, Book on Demand - 328 Seiten; Erscheinungsdatum: 2004, ISBN: 3833406240

 

 

Kindererziehung. - Pro und Kontra "Kinderkrippe" -. Klaus-Peter Kolbatz, Book on Demand - 132 Seiten; Erscheinungsdatum: 2007, ISBN-10: 3833498900

 

 

Kriegskinder - Bombenhagel überlebt, Karriere gemacht und mit Burn-out bezahlt. - Klaus-Peter Kolbatz, Book on Demand - 180 Seiten; Erscheinungsdatum: 2006, ISBN; 3-8334-4074-0

AGB/Impressionen

© by Klaus-Peter Kolbatz 

   

 

Swish Templates